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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 23,1.1909

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Heft 1 (1. Oktoberheft 1909)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0083
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achtung erfreuen. Wer Sinn für
Technisches und Artistisches hat,
wird zum Genusse hundertfach
Grund finden. Aber der seelische
Gehalt der Werke wird nur selten
zu uns sprechen, und damit wird
uns gerade das Beste dieser Kunst
schweigen müssen.

Freilich, auch ohne japanisch zu
fühlen oder gar uns als Iapaner
zn gebärden, können wir viel von
ihnen lernen. Schon deshalb,
weil in dieser alten Kunst (die
neueste japanische kommt hier nicht
in Betracht), die Industrie so gut
wie gar keine Rolle spielt. Noch
mehr vielleicht von den Lhinesen,
aber erst später. Denn China
ist jetzt nicht Mode.

Die Iapaner anderseits lernen
von uns Europäern. In den
Sälen der Kunsthändler sind zahl-
reiche moderne Exportwaren zu
sehn, die unter dem Einfluß des
europäischen Geschmacks entstanden
sind. Sie spekulieren meist ein-
fach kaufmännisch auf die Geld-
börse des ungebildeten Europäers.
Wird der Austausch sich in Zu-
kunft so vollziehen, daß unsre
Künstler von den Chinesen und
Iapanern nur das Beste nehmen,
was sie uns zu geben vermögen,
die Ostasiaten aber von uns nur
das Schlimme? Das wäreTragik.*

R.

* Vor einiger Zeit sandte mir
ein japanischer Schriftsteller eine i
japanische Zeitschrift, mit der Bitte,
ihre Vemühungen um Einführung
des europäischen Geschmacks unter
seinen Landsleuten zu unterstützen.
Den Text konnte ich natürlich
nicht lesen, aber die Ausstattung
konnt ich beurteilen: grauenhafteste
Ornamentik der Art, die bei uns
der Iüngling im Vasar „Iugcnd-
stil" oder „Sezessionsstil" zu nen-
nen Pflegt! A

Die Frau und die „Land-
flucht"

>»»ber die Ursachen der Land-
44-flucht ist mancherlei geschrieben
worden. Heute mag sie einmal
von einer Frau und vom Stand-
punkt der Frau aus angesehen wer-
den. Von vornherein sei ausgespro-
chen: um an versäumte Pflicht-
erfüllung der Frau zu mahnen.

Die Frau ist die Pflegerin der
Sitte, die Gestalterin geselliger Be-
ziehungen in engerem und weite-
rem Kreise. Die Lebensführung
der begüterten Frau, die Art,
wie sie ihr Tagewerk regelt, ihre
Kinder erzieht, ist außerdem bei-
spielgebend für die Frauen ein-
facherer Kreise, mit denen ihre
Lagespflichten sie in Berührung
bringen. Nicht nur „auch" auf
dem Lande, nein, in ganz be-
sonderer Weise auf dem Lande
kann die Frau: die Gutsherrin,
die Pfarrfrau, die Frau des Leh-
rers, des Arztes oder die Lehrerin
Einfluß ausüben. Denn der Ver-
kchr von Mensch zu Mensch ist
draußen immerhin noch freier, noch
weniger durch künstliche Schranken
beengt, als in der Stadt.

Den Aufgaben auf diesem wciten
Arbeitsfeld entzieht sich die Frau
sehr oft. Von Landflucht ist auch
j im Hinblick auf Lehrer und Lehre-
rinnen, auf Ärzte und Pfarrer
HLufig die Rede. Amd sehr oft
sind es da die Frauen, die mit
in die Stadt drängen.

Welches sind die Ursachen der
Landflucht in den gebildeten Stän-
den? Berechtigt ist der Wunsch,
eine ähnlich hohe Lebenshaltung
in pekuniärer Beziehung zu er-
reichen wie in der Stadt, berech-
tigt ist ferner die Sorge um Schu-
lung und weitere Ausbildungs-
möglichkeit für die Kinder. Die
niedrigern Einnahmen erschweren

(. Oktoberheft (909 69

Mann und
Weib
 
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