nichr dem Buchstaben, sondern dem lebendigen Geist dieses Gesetzes gehorsam
zeigt — hat Kleist seine leHLe ArbeiL verrilhkeL.
Bleibt noch übrig, seines Sterbens zu gedenken. Der EinsaH, den er hatte
wagen müssen, schien verloren und verspielt, die Wage schnellte hoch. Bon den
Gedichten an das Vaterland, die er verschenkte, wollte niemand etwas wissen.
Alle AnsLalten, die er kraf, um doch nicht zu verhungern, schlugen ihm fehl.
Nvch gab es das Schauspiel des ankichambrierenden Gemus. Der den Deuk-
schen den Amphikryoii, den Zerbrochenen Krug, die Penthesilea, das Käthchen,
den Homburg geschenkk, der mit seinen Novellen ihre Prosa auf einen Gipfel
geführt hatte, den sic heuke noch nichk zu ermessen wissen, er kommt um
Warkegelder, um Entschädigungen, llnterstützungen ein, skolz und recht-
haberisch, all in seiner Würde; und doch, welch ein Schauspiel, ihn erlittene
Schäden vorrechnen, berechtigte Ansprüche auf ein paar Taler berechtigt nennen
zu sehen wie tausend andere auch, und unbeachket, ohne Ankwort, verachtet
hinausgehen, ein QnerulanL unter Querulanten!
Dann kommt der Tod auf ihn zu wie ein GesLirn, aus der llnermeßlichkeit her,
die seine Heimat war, und macht ihn ganz leuchtend und leuchtend alles, was
ihm zu erleben gcsetzk war. Und jetzt skimmt scine Seele den „Trinmphgesang"
an, des Morgens und des Abends, was er nie gekonnt, kniet er nieder und
betet zu GoLL; denn er kann ihm, ivie cr schreibk, sein Leben jetzk dankcn, weil
er es ihm durch den wollüstigsten aller Tode vcrgüLigt. Der „Skrudel von
nie empfundener Seligkeit" nimmL ihn auf.
Mit Heinrich von KleisL isi der erske und einzige eigenklich „moderne" Dichter
dcr Deukschen dahingegangen. Das Tor des Glaubens war hinker ihm zu-
gcfallen; „Ach nur einen Tropfen Vergessenheit, und mik Wollust würde
ich kaLholisch werden", haLte er einmal geschrieben; aber er fand ihn nirgends.
Gökterlos, von Zweifeln gepeinigk, Nacht und kalt funkelnde Skerne über
sich, isi er den Weg vorangegangen, der uns heute beschieden ist. Er hatte
kein Ideal, nicht einmal ein ästhetisches: alle Formprobleme waren ihm Hekuba,
und so konnte ihn auch keine Schönheit, keine Griechenheit und kcine ernenerte
klassischc Humanikät erlösen. In scinem Gespräch über das Marionetken-
theaker hat er sich, sehr gegen seine sonstige Gewohnheit, einmal über den
Menschen und seine Welt LhcoreLisch ausgelassen. Da erblickte er ihn, als
nicht mehr im Stande der Unschuld befindlich, in keiner freundlichen Lage:
unendliches Bewußtsein wie Gott hatte er nichk; aber gar keines und damit
wenigfkens dic strahlende Grazie einer Maschine leider auch nicht, so daß ihm,
um in den Stand der Unschuld zurückzugelangen, nichts übrig blieb, als vom
Baumc der ErkennLnis noch einmal zu essen.
Die Lücke, die sein Tod in der deutschen Poesie gelassen hak, isk heute noch
nicht geschlosscn; nnd das wundere niemanden, denn der Iunge, der das Herz
hat, dork weiterzugehen, wo Heinrich von Kleist niedergesunken isL, wird nichk
alle hundert Jahre und anch nichL alle zehn geboren, 'wenngleich man nichk
müdc wird, es uns zu versichern. Indessen sind wir heutc wenigstens so weit,
daß ihm keiner mehr den Lorbeer auf sein Grab zu weigern wagk. Zu fürchten
jst allcrdings, daß, wenn man seinen hundertfünfzigsten Gebnrtstag feiert,
seine Wunden wieder zu bluken anfangen, weil seine Mörder dreist genug
sein wcrden, sich mik an seinen Hügel ;u drängen. Denn sie haben ihn überlebk.
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zeigt — hat Kleist seine leHLe ArbeiL verrilhkeL.
Bleibt noch übrig, seines Sterbens zu gedenken. Der EinsaH, den er hatte
wagen müssen, schien verloren und verspielt, die Wage schnellte hoch. Bon den
Gedichten an das Vaterland, die er verschenkte, wollte niemand etwas wissen.
Alle AnsLalten, die er kraf, um doch nicht zu verhungern, schlugen ihm fehl.
Nvch gab es das Schauspiel des ankichambrierenden Gemus. Der den Deuk-
schen den Amphikryoii, den Zerbrochenen Krug, die Penthesilea, das Käthchen,
den Homburg geschenkk, der mit seinen Novellen ihre Prosa auf einen Gipfel
geführt hatte, den sic heuke noch nichk zu ermessen wissen, er kommt um
Warkegelder, um Entschädigungen, llnterstützungen ein, skolz und recht-
haberisch, all in seiner Würde; und doch, welch ein Schauspiel, ihn erlittene
Schäden vorrechnen, berechtigte Ansprüche auf ein paar Taler berechtigt nennen
zu sehen wie tausend andere auch, und unbeachket, ohne Ankwort, verachtet
hinausgehen, ein QnerulanL unter Querulanten!
Dann kommt der Tod auf ihn zu wie ein GesLirn, aus der llnermeßlichkeit her,
die seine Heimat war, und macht ihn ganz leuchtend und leuchtend alles, was
ihm zu erleben gcsetzk war. Und jetzt skimmt scine Seele den „Trinmphgesang"
an, des Morgens und des Abends, was er nie gekonnt, kniet er nieder und
betet zu GoLL; denn er kann ihm, ivie cr schreibk, sein Leben jetzk dankcn, weil
er es ihm durch den wollüstigsten aller Tode vcrgüLigt. Der „Skrudel von
nie empfundener Seligkeit" nimmL ihn auf.
Mit Heinrich von KleisL isi der erske und einzige eigenklich „moderne" Dichter
dcr Deukschen dahingegangen. Das Tor des Glaubens war hinker ihm zu-
gcfallen; „Ach nur einen Tropfen Vergessenheit, und mik Wollust würde
ich kaLholisch werden", haLte er einmal geschrieben; aber er fand ihn nirgends.
Gökterlos, von Zweifeln gepeinigk, Nacht und kalt funkelnde Skerne über
sich, isi er den Weg vorangegangen, der uns heute beschieden ist. Er hatte
kein Ideal, nicht einmal ein ästhetisches: alle Formprobleme waren ihm Hekuba,
und so konnte ihn auch keine Schönheit, keine Griechenheit und kcine ernenerte
klassischc Humanikät erlösen. In scinem Gespräch über das Marionetken-
theaker hat er sich, sehr gegen seine sonstige Gewohnheit, einmal über den
Menschen und seine Welt LhcoreLisch ausgelassen. Da erblickte er ihn, als
nicht mehr im Stande der Unschuld befindlich, in keiner freundlichen Lage:
unendliches Bewußtsein wie Gott hatte er nichk; aber gar keines und damit
wenigfkens dic strahlende Grazie einer Maschine leider auch nicht, so daß ihm,
um in den Stand der Unschuld zurückzugelangen, nichts übrig blieb, als vom
Baumc der ErkennLnis noch einmal zu essen.
Die Lücke, die sein Tod in der deutschen Poesie gelassen hak, isk heute noch
nicht geschlosscn; nnd das wundere niemanden, denn der Iunge, der das Herz
hat, dork weiterzugehen, wo Heinrich von Kleist niedergesunken isL, wird nichk
alle hundert Jahre und anch nichL alle zehn geboren, 'wenngleich man nichk
müdc wird, es uns zu versichern. Indessen sind wir heutc wenigstens so weit,
daß ihm keiner mehr den Lorbeer auf sein Grab zu weigern wagk. Zu fürchten
jst allcrdings, daß, wenn man seinen hundertfünfzigsten Gebnrtstag feiert,
seine Wunden wieder zu bluken anfangen, weil seine Mörder dreist genug
sein wcrden, sich mik an seinen Hügel ;u drängen. Denn sie haben ihn überlebk.
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