Form sich löst, wie in der Barockmalerei.
Dieser Fall ist bci' Grünewald gegebcn
und spricht sich auch in seiner Zeichnung
aus. Allmählich findct der Künstler im-
mer mehr Mitteh die Schmiegsamkeit,
das Lichtsangen und den Glanz der Farbe
auch im Schwarzweiß darzustellen. Stär-
ker als im Formalen interessiert uns das
vorstehende Blatt als Dorarbeit für die
einschlägige Bilddarstellung. Man er-
kcnnt, an dieser gemessen, hier noch das
Modellmäßige. Anders gesagt, was hat
Grünewald aus solcher Wirklichkeit durch
seine Jntuition gemacht: innerlichstes Zu-
sammcnlegen nnd Jncinandersalten der
Hände um einen heilig wertvollen Jn-
halt; zuglcich auch ein sich Einhalten an
diesem überwältigenden Jnhalt wie
opferbereites Emporhalten desselben:
Flehen und Ergebung im Augenblick
äußerster Spannung. — Man beachte in
solchcm Sinn Maria in der Krenzigung
deü Jsenheimer Altares.
Die Arme zum Hl. Sebastian
dieses Altareö. Sie wirken in dersseichnung
stärker auf mich als im Gemälde: eine
erschütternde Gebärdc des sich Hinanf-
ringcns, der Entschlossenheit zur Hingabc.
Wie die untere Hand mit aller Kraft und
Entschiedcnheit krallig, klammerig die
obere in sich hineinnimmt, wie diese sich
in jcne hineinwindet, im Ausdruck eines
ausmündenden, bezwungenen Schmerzes,
wie sic von den Armen in den unendlichen
Raum hinausgeschoben, fast gestöhnt
wcrden, das ist in Form und Gchalt
gleich konzentriert, nur mit den knappsten
Mitteln gegeben.
Die HI. Dorothca, Entwurf zu
einem unbekannten Bild. Der Eindruck
ist hier wcsentlich anders: Flächen be-
wegen sich gegeneinander, und ihrc Bewe-
gung ist mehr ein welliges als ranken-
mäßiges Gewoge; die Linie tritt durch-
auö zurück, ist die kaum beachtete Um-
kleidung der Form. Auch das sächerige
Nüschengefältel wendet und bricht und
knittert sich slächig, ist überhaucht von
Duft und Glanz, die in Gesicht und
Haar der Heiligen noch lösiger, schwebi-
ger werden und dem feinen Kopf jene
durchgeistigte, ergebungsvoll bescheidcnc
Leidcnsart geben, die etwas von mystischer
Süßigkeit enthält. — Hier ist der Stil
der Zeichnung wesentlich einheitlicher, er
spiegelt farbigc Absichten klar wieder;
abcr er ist nicht eigentlich „malerisch". Das
Blatt hat fast eine bildmäßigc Selb-
ständigkeit, so weit ist es in allem durch-
gearbeitet; und das erhöht seine Aus-
druckskraft. Wie kommt das Berzückte
und Beglückte im Halten der Blume her-
auS, während das Haupt wie abwehrend
die Begnadigung über sich ergehen läßt,
wie erschrocken verkrampft sich die Linke
am Henkel des Körbchens — Wonne und
Schrecken aller Exstatik.
Bildnis der Margarete Prell-
witz (Paris, Louvre. Erstmalig ver-
öffentlicht im „Münchener Iahrbnch der
bildenden Kunst", Derlag Callwey). Für
mich kein Werk des Grünewald, dem
E- Baumeister das Blatt zuweisen will,
obwohl er „daS eingeschattete Linien-
gewirr der linken Wange" als „un-
gewöhnlich" bezeichnet und „die hand-
werkliche Sauberkeit und Sorgfalt ver-
mißt, die wir an den Studien gewöhnt
sind, die Grüncwald in der Bollkraft der
Jahre geschaffen". Diese Zeichnung geht
für mich nicht mit den bisher bekannten
Zeichnungen Grünewalds zusammen; das
fpricht vor allem gegen sie. Die wenig
saubere Strich- und Schatkenführung ist
bereits zugegeben; sie ist aber, an Grünc-
walds Handscbrift gemessen, sogar
schmierig und teilweise stumpf wie trok-
ken, entbehrt des Fügigen und sensitiv
Belebten, der sicheren Fvrmbehandlung
Grünewalds. Man beachte in diesem
Sinn den zu matten Kontur der rechten
Wange, die Behandlung der Nasenspitze
und des Nasenflügels, den unbelebten
Schatten darüber und darunter — ebenso
jenen des Nasenloches. Der Mund ist zu
holzig, der linke Kinnbacken zu derb und
die ihm unmittelbar anschließende Partie
des Halses zu sackig-hängig. Hier erkennt
man am deutlichsten das Ringen des
Künstlers um die Form, die in Grünewalds
Zeichnungen mühelos sich ergibt. Ähn-
liches unter dem Kinn. Ist auch vor
allem der Kopf gewollt, so brauchke doch
der Leib nicht so sehr zu fehlen: man spürt
ihn nirgcnds hinter dem Gewand. Die
ganze Ärt des Dortrages ist derber als
bei Grünewald, ist malerisch breiter nnd
kraftvoller in den Flächen, im Hell-Dnn-
kel. Der Künstler mag sich an des Größe-
ren Art inspiriert haben, ist sclbst ein
starker Empfinder und Meister, aber von
schwererem und rauherem Akzent; er ist
wie einer, der die Dolkssprache erschüt-
ternd spricht und damit ebenso wirkt.
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Dieser Fall ist bci' Grünewald gegebcn
und spricht sich auch in seiner Zeichnung
aus. Allmählich findct der Künstler im-
mer mehr Mitteh die Schmiegsamkeit,
das Lichtsangen und den Glanz der Farbe
auch im Schwarzweiß darzustellen. Stär-
ker als im Formalen interessiert uns das
vorstehende Blatt als Dorarbeit für die
einschlägige Bilddarstellung. Man er-
kcnnt, an dieser gemessen, hier noch das
Modellmäßige. Anders gesagt, was hat
Grünewald aus solcher Wirklichkeit durch
seine Jntuition gemacht: innerlichstes Zu-
sammcnlegen nnd Jncinandersalten der
Hände um einen heilig wertvollen Jn-
halt; zuglcich auch ein sich Einhalten an
diesem überwältigenden Jnhalt wie
opferbereites Emporhalten desselben:
Flehen und Ergebung im Augenblick
äußerster Spannung. — Man beachte in
solchcm Sinn Maria in der Krenzigung
deü Jsenheimer Altares.
Die Arme zum Hl. Sebastian
dieses Altareö. Sie wirken in dersseichnung
stärker auf mich als im Gemälde: eine
erschütternde Gebärdc des sich Hinanf-
ringcns, der Entschlossenheit zur Hingabc.
Wie die untere Hand mit aller Kraft und
Entschiedcnheit krallig, klammerig die
obere in sich hineinnimmt, wie diese sich
in jcne hineinwindet, im Ausdruck eines
ausmündenden, bezwungenen Schmerzes,
wie sic von den Armen in den unendlichen
Raum hinausgeschoben, fast gestöhnt
wcrden, das ist in Form und Gchalt
gleich konzentriert, nur mit den knappsten
Mitteln gegeben.
Die HI. Dorothca, Entwurf zu
einem unbekannten Bild. Der Eindruck
ist hier wcsentlich anders: Flächen be-
wegen sich gegeneinander, und ihrc Bewe-
gung ist mehr ein welliges als ranken-
mäßiges Gewoge; die Linie tritt durch-
auö zurück, ist die kaum beachtete Um-
kleidung der Form. Auch das sächerige
Nüschengefältel wendet und bricht und
knittert sich slächig, ist überhaucht von
Duft und Glanz, die in Gesicht und
Haar der Heiligen noch lösiger, schwebi-
ger werden und dem feinen Kopf jene
durchgeistigte, ergebungsvoll bescheidcnc
Leidcnsart geben, die etwas von mystischer
Süßigkeit enthält. — Hier ist der Stil
der Zeichnung wesentlich einheitlicher, er
spiegelt farbigc Absichten klar wieder;
abcr er ist nicht eigentlich „malerisch". Das
Blatt hat fast eine bildmäßigc Selb-
ständigkeit, so weit ist es in allem durch-
gearbeitet; und das erhöht seine Aus-
druckskraft. Wie kommt das Berzückte
und Beglückte im Halten der Blume her-
auS, während das Haupt wie abwehrend
die Begnadigung über sich ergehen läßt,
wie erschrocken verkrampft sich die Linke
am Henkel des Körbchens — Wonne und
Schrecken aller Exstatik.
Bildnis der Margarete Prell-
witz (Paris, Louvre. Erstmalig ver-
öffentlicht im „Münchener Iahrbnch der
bildenden Kunst", Derlag Callwey). Für
mich kein Werk des Grünewald, dem
E- Baumeister das Blatt zuweisen will,
obwohl er „daS eingeschattete Linien-
gewirr der linken Wange" als „un-
gewöhnlich" bezeichnet und „die hand-
werkliche Sauberkeit und Sorgfalt ver-
mißt, die wir an den Studien gewöhnt
sind, die Grüncwald in der Bollkraft der
Jahre geschaffen". Diese Zeichnung geht
für mich nicht mit den bisher bekannten
Zeichnungen Grünewalds zusammen; das
fpricht vor allem gegen sie. Die wenig
saubere Strich- und Schatkenführung ist
bereits zugegeben; sie ist aber, an Grünc-
walds Handscbrift gemessen, sogar
schmierig und teilweise stumpf wie trok-
ken, entbehrt des Fügigen und sensitiv
Belebten, der sicheren Fvrmbehandlung
Grünewalds. Man beachte in diesem
Sinn den zu matten Kontur der rechten
Wange, die Behandlung der Nasenspitze
und des Nasenflügels, den unbelebten
Schatten darüber und darunter — ebenso
jenen des Nasenloches. Der Mund ist zu
holzig, der linke Kinnbacken zu derb und
die ihm unmittelbar anschließende Partie
des Halses zu sackig-hängig. Hier erkennt
man am deutlichsten das Ringen des
Künstlers um die Form, die in Grünewalds
Zeichnungen mühelos sich ergibt. Ähn-
liches unter dem Kinn. Ist auch vor
allem der Kopf gewollt, so brauchke doch
der Leib nicht so sehr zu fehlen: man spürt
ihn nirgcnds hinter dem Gewand. Die
ganze Ärt des Dortrages ist derber als
bei Grünewald, ist malerisch breiter nnd
kraftvoller in den Flächen, im Hell-Dnn-
kel. Der Künstler mag sich an des Größe-
ren Art inspiriert haben, ist sclbst ein
starker Empfinder und Meister, aber von
schwererem und rauherem Akzent; er ist
wie einer, der die Dolkssprache erschüt-
ternd spricht und damit ebenso wirkt.
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