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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 4 (Januarheft 1928)
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Rang, Bernhard: Hölderlins Ode Chiron
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Michel, Wilhelm: Das weltlose Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0270

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Äichter in Anlehnung etwa an die Fabel der Trachinierinnen die Mchthe in
cigencni Sinne weitergesponnen. 2lber es isi uraltes orphisches Sagengut,
jene verborgene Erlösungs-Neligion der Griechen, wie sie in den Eleusinischen
Mysterien noch lange weiterlebte, die Aeschylus in seiner Prometheus-
Trilogie gestaltet hat, jener das Geheimnis des Christentumes und seiner Neich-
Gottes-Lehre so nah berührende antike Glanbe von Weltende, Welterlösung,
Götterdämmerung, was wieder in dem deutschen Dichter auswacht, in seinem
Glauben an die helfende Krast von „Gottes Fehl" und der „gewaltigen", der
„erstaunenden Nkacht". Jn der dritt- und zweitlehten Strophe liegt der ent-
scheidende Punkt, die „Peripetie", der Hinabstieg Chirons, sein Opfer, das
zugleich seine Erlösung aus der Nkacht der Schmerzen ist:

Tag! Tag! Nkun wieder athmet ihr recht; nun trinkt,

Ihr meiner Bäche Weiden! ein Augenlicht.

So heißt cs, als der rettende Gott endlich erscheint und die Dingc dcr Erde
sichtbar werden. Hellingrath interpretiert das sprachliche Verhälknis („Augen-
licht" als 2lkkusativobjekt zu „Lrinkt") zwar richtig: „gierig angeschaut trinken
die Sträucher den Blick in sich, die Spuren am Boden sühren wieder sichre
Wege, die Sonne mit ihren Strahlen ist darüber wie ein König". 2lber
„Irrstern des Tages" ist die Sonne nicht genannk, weil sie „nicht mehr inneres
Bild, gekräumt, sondern draußen an ihrem eigenen Plah", nein, weil auch sie,
die erhellende Leuchke des Tages enttäus cht, das Dunkel des leidenden
Menschen, der schmerzersüllten Erde zwar überslrahlk, aber nichk erlöst. Chiron
aber scheidet von ihr, von dieser sichkbaren Welt. Moch einmal wirst er
einen Blick, einen erlösten Abschiedsblick aus die nun von nmerem Lichke
durchleuchtete Erde, die „friedliche Wieg", die wie alle Dinge „bei sich selber"
erscheint, ruhevoll in sich, an dem notwendigen Plahe. Er aber wird auch zu
sich selber einkehren, eingehen in das Haus der Bäter, das Haus der kentauri-
schen 2lhncn. Das ist der Niederstieg des „Gerechten" zur Erlösung einer
sündigen Welk, das Opfer des Lammes, unschuldig gcschlachtet und doch be-
stimmt, das 2lnklih dieser Welt zu erneuern. Gricchische wie christliche Eschato-
logie spricht unser Gedichk. Opfergang des leidenden Gotkes — Sinn der
alten Tragödie, Geheimnis der Christ-Religion, Kern der Chiron-Ode. Dies
aber zu erkennen, nmß immer erneut ehrfürchtig-aufhorchender Sinn dem Dich-
terwort geöffnet bleiben, „daß gepflegek werde / Der veste Bnchstab und Be-
stchendes wohl / Gedeutet".

Das weltlose Drama

Von Wilhelm Michel

^^ch möchte wieder einen Dramatiker sehen, bei deni die Worte und die
^)Dinge das bedcuten, was sie icheinen. Seit Iahren sihen wir nun ans-
gehungert vor diesen verkappten Monologen, in denen uns lauter Götker ver-
kündigt werden, die im Busen wohnen mid nach außen nichts bewegen können.
Die Thesen, die Probleme sind alle da und werden eifrig abgchandelt. 2lber
die Welt mid Wirklichkeit, auf die sie sich beziehen, sind uns verloren gegangen.
Iedes Iahr hören wir von einem neuen „Durchbruch". 2lber immer sind es
Durchbrüche in noch ärgere Einsamkciken und Gespensterprovinzen. Daukhendey

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