Die Krisis der Kunst
Ein Galeriegespräch
Von Kurt Karl Eberlein
s/^ricdrich: Wie schön, daß wir uns geradc hier in Dresden, gerade hier
O in der Galerie wiedersinden! Da draußcn iß es Winter, eine roke Sonne
übcr weißem Schnee. Die liebe Stadksilhouette, die Kleisl aus dcni Titelblatt
seiner Phoebuszeikschrisk unker dern donncrndcn Apollwagcn von Harttnann
zeichnen ließ, ist das Gleichnis unserer Wicderkehr. Wie schön, mik Dir
sprechen zu können, lieber Freund, stakk alles iu sich hineinzuschweigen!
Walker: 2luch ich sreue mich. Fch bin hier immer wieder heünisch, wie
schr ich auch meine Vakerstadk liebe. Diese Galerie ist mir mehr als andere. Sie
ist der Tresspunkk der Wiederkchrenden. Jch fühle alkc Geister hier nahe.
Es iß ein eigener Zauber um diese Bilder, kroHdcm sie iu ueueni Hause, iu
neuen Sälen leben. Schon die vielumkämpfke Sixkina wiederzusehen, kvenn
die Cook-Pcnsionatc nichk gerade davor seuszcn, ist eine eigene Freude. Man
besuchk doch Ruinen so gern, in dcnen man schon als Knabe war, in dencn
man immer wieder cin anderer ist. Und dies umräkselke Bild ist doch zweifel-
los eine Nuine. Wie der Antt'nons, wie dcr Laokoon, ist es das Spiegelbild
dcr Geister, die sich in ihm sahen. Es ist ein holdes Ärgernis um solches
Spiegelwesen. Man siehk in dieser osk vcrbesserken Handschrist das Schiek-
sal aller Kunst, die aus Verwandlung und Zerstörung lächelk. Wie schön
muß diese Makrone damals gewesen sein, als sie jung und uubemalk am Jlltar
wie ein Meßkelch dienke. Ist es doch auch gauz belanglos, welcher Zeit und
welchem Skil der Meßkelch gehörk. Dies Alkarblatk gehörk dem dieneiiden
Leben, dem Geräk dcs Geistes, das nehmend gibk, das krinkend kränkk. Es
ist Zweckkuust, Dukunst, Wertkunst, vom Geist für den Geist, und kut uoch
immcr seinen Dicnst. Es ist kein Museumsbild und wird es nie sein. Über
malk odcr nichk, übk cs seinen Zauber als das Doppelgestirn, das Zwiesymbol
jenes höchsten Gedankens des Mcuschen.
Friedrich: Beachte doch, wie diese Mcnschen mit den Kunstwerkeu uni
gehen, wie sie schweigcn und sprechen, fremd wie in cineni Thronsaal herum-
stieren! Kein Gcspräch wird lebendig, kein Erlebm's, keine Gemeiuschafk. 2lb-
gekrenut von ihrem kleinen Leben, hak dicse Kuiist imr fremde, bestaunliche Werke.
Die Einheik ist verloreu, keine Brücke führk hinüber zu Welk und Gott, nicht
einmal zum Künstler. Es ist jeder ein Robmson vor diescn Meeren.
Walker: Wunderk Dich das? Troh aller Vereine und Skammkische, krotz
allcr Schwätzerei und Schreibcrei — und vielleichk eben dcswegen — lcbk bci
nns kein Gespräch, jcnes Gespräch, das, gedanken- und idcenzündend zwischeu
Menschen, wie der plakonische Eros flakkernd, die Ilrform schasfcnden Geistes
ist. Erümerst Du Dich jenes gcistreichen selkcnen Büchleins von Jldani
Müller, das die Beredsamkeik behandelk und das Gespräch als die lkrform
jeder Auseinandersetzung mik Geist und Kuust, Jdee uud Person in Dialog
und Monolog feierk, und als die Urzelle des Dramas, der Geschichke, der
Polikik, künstlerischen wie staatlichen Lebens in seinen nakionalen Wandel-
formen erkennt? Jede Auseinandersetzung mik Kunst ist Gespräch, wird Ge-
spräch, sollke Gespräch des Erlcbens sein.
212
Ein Galeriegespräch
Von Kurt Karl Eberlein
s/^ricdrich: Wie schön, daß wir uns geradc hier in Dresden, gerade hier
O in der Galerie wiedersinden! Da draußcn iß es Winter, eine roke Sonne
übcr weißem Schnee. Die liebe Stadksilhouette, die Kleisl aus dcni Titelblatt
seiner Phoebuszeikschrisk unker dern donncrndcn Apollwagcn von Harttnann
zeichnen ließ, ist das Gleichnis unserer Wicderkehr. Wie schön, mik Dir
sprechen zu können, lieber Freund, stakk alles iu sich hineinzuschweigen!
Walker: 2luch ich sreue mich. Fch bin hier immer wieder heünisch, wie
schr ich auch meine Vakerstadk liebe. Diese Galerie ist mir mehr als andere. Sie
ist der Tresspunkk der Wiederkchrenden. Jch fühle alkc Geister hier nahe.
Es iß ein eigener Zauber um diese Bilder, kroHdcm sie iu ueueni Hause, iu
neuen Sälen leben. Schon die vielumkämpfke Sixkina wiederzusehen, kvenn
die Cook-Pcnsionatc nichk gerade davor seuszcn, ist eine eigene Freude. Man
besuchk doch Ruinen so gern, in dcnen man schon als Knabe war, in dencn
man immer wieder cin anderer ist. Und dies umräkselke Bild ist doch zweifel-
los eine Nuine. Wie der Antt'nons, wie dcr Laokoon, ist es das Spiegelbild
dcr Geister, die sich in ihm sahen. Es ist ein holdes Ärgernis um solches
Spiegelwesen. Man siehk in dieser osk vcrbesserken Handschrist das Schiek-
sal aller Kunst, die aus Verwandlung und Zerstörung lächelk. Wie schön
muß diese Makrone damals gewesen sein, als sie jung und uubemalk am Jlltar
wie ein Meßkelch dienke. Ist es doch auch gauz belanglos, welcher Zeit und
welchem Skil der Meßkelch gehörk. Dies Alkarblatk gehörk dem dieneiiden
Leben, dem Geräk dcs Geistes, das nehmend gibk, das krinkend kränkk. Es
ist Zweckkuust, Dukunst, Wertkunst, vom Geist für den Geist, und kut uoch
immcr seinen Dicnst. Es ist kein Museumsbild und wird es nie sein. Über
malk odcr nichk, übk cs seinen Zauber als das Doppelgestirn, das Zwiesymbol
jenes höchsten Gedankens des Mcuschen.
Friedrich: Beachte doch, wie diese Mcnschen mit den Kunstwerkeu uni
gehen, wie sie schweigcn und sprechen, fremd wie in cineni Thronsaal herum-
stieren! Kein Gcspräch wird lebendig, kein Erlebm's, keine Gemeiuschafk. 2lb-
gekrenut von ihrem kleinen Leben, hak dicse Kuiist imr fremde, bestaunliche Werke.
Die Einheik ist verloreu, keine Brücke führk hinüber zu Welk und Gott, nicht
einmal zum Künstler. Es ist jeder ein Robmson vor diescn Meeren.
Walker: Wunderk Dich das? Troh aller Vereine und Skammkische, krotz
allcr Schwätzerei und Schreibcrei — und vielleichk eben dcswegen — lcbk bci
nns kein Gespräch, jcnes Gespräch, das, gedanken- und idcenzündend zwischeu
Menschen, wie der plakonische Eros flakkernd, die Ilrform schasfcnden Geistes
ist. Erümerst Du Dich jenes gcistreichen selkcnen Büchleins von Jldani
Müller, das die Beredsamkeik behandelk und das Gespräch als die lkrform
jeder Auseinandersetzung mik Geist und Kuust, Jdee uud Person in Dialog
und Monolog feierk, und als die Urzelle des Dramas, der Geschichke, der
Polikik, künstlerischen wie staatlichen Lebens in seinen nakionalen Wandel-
formen erkennt? Jede Auseinandersetzung mik Kunst ist Gespräch, wird Ge-
spräch, sollke Gespräch des Erlcbens sein.
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