Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1927)
DOI Artikel:
Popp, Josef: Die neue Wohnung: aus Anlaß der Stuttgarter Ausstellung
DOI Artikel:
Habicht, Victor Curt: Paula Modersohn: der weibliche Genius der niederländischen Malerei
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0122

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
gestaltek: neue Möalichkeiten von Stoff und Konstruktion, ueue Bauaufgaben,
neue Aussassungen überhaupt, vor allem des Zweckmäßigen und Ökonomischen,
des Lebens und künstlerischen Gestaltens. Aus alledem hat sich heute ein
neuer Formwille entwickelt nnd ist eine ncue Formgesinnung im Werden,
die sich aus das sachlich Wesenhaste, Knappe, Einfache und Klare einstcllt,
mehr auf das Organische, aus die Einheit von innen und anßen, als aus eine
bestimmte Form an sich. Damit ergibt sich ein neuer Rhythmus der Form
und der Formverbindungen, eine Erwciterung und Bereicherung unserer ästhc-
tischen Begrisse. Stakt dies alles wachsen zu lassen, gehk es schon wieder um
Schlagwörker des Klassischen und Romantischen, um ciuen neuen Forma-
lismus. Die einen kämpsen sür den strengen Kubus, die anderen sür eine mög-
lichst ausgelöste individuelle Form. Beide vergewaltigen die Bauausgabe, stark
sie organisch ;u löscn. Iü Stuttgart ist dies am reiustcn und fast allein Oud
geglückt, der auch die klarsten Einsichten in die neuen künstlerischen Probleme
hat. Den allermeisten Familienhäusern rnerkt man allzusehr die Freude an
einem bestimmten Formalen an, stakk daß die Form dem Zweck dient: es ist
außer der schon genannken Licht- und Luftromantik die Freude am aufgelösten
Grund- und Ausriß, am starken Gegeneinander osfener nnd geschlosscner
Flächen, den vielsachen Raumdurchdringungen und dem Ineinanderschachtcln
der Massen, eine neue malerische Gesinnung, die im Grunde nichk besser ist
als jene mit Erkern, Türmen, durchschnittenen Dächern u. ä. Nrchk weniger
wird das Innere zugunsten dcs Blockmäßigen vergewaltigt; am stärksten
bei Mies van der Rohe: Die übergroßen Fenster der Treppenhäuser, die um-
sangreichen Türen nach mageren Vorgärken, die Balkonc, aus die man kanni
hinaustreten kann, sind doch nur äußcre Miktel einer formalen Rhythmisie-
rung. Auch hier ist die Form vor dem Inhalk da.

So werden die besten Errungenschasten des neuen Bauens gerade von jenen
wieder gefährdet, die sie am rückhaltlosesten vertreten. TroHdem ist es nüt deni
Bauen im alken Sinn vorüber; auch das neue Wohnhaus und die neue Woh-
nung marschieren.

Paula Modersohn

dcr weibliche Genius der niedersächsischen M alerei
Von V. C. Habicht

'd^er wirklich große Künstler, der durch und durch geniale, ist ein „Nichk-
"^-^mensch", das Wesentlichste seines Seins und seiner Bestimmung
zum mindesten hak weder mik Vorzügen noch mit Fehlern, weder mit Zielen
noch mit Tatcn des Durchschniktsmenschen etwas gemcin. Seine Scndnng
ist Begnadung. Belanglos ist darum auch das Geschlecht. Sein äußcres Leben
und Geschick brauchcn keine Oual zu sein, aber jie sind es oft. Die überwälti-
gende Masse der in ihre Person, ihr Geschick so verliebten, so eitlen wie
selbstbewußten Anderen kann eiuen „Nichtmenschen" unker sich schwer ertragen,
seine zeitlosen und ewigen Gaben sind ihr ein TroH; und sie vergißt zu gerne,
daß sie von ihnen lebt. Die Zeit dieser Genien „kommt" fast immer erst dann,
wenn es zu spät ist, wenn die Bringer der köstlichsten Gaben ihr wahrlich
auch geliebtes Leben gelebt haben. Dann seHt ein so lächcrlicher, wie nuhloser

94
 
Annotationen