brmgen kann; es aber in einem Augenblick zur Schau stellk, der sein Vergäng-
liches auszeigL anstatt seines Dauernden. Dieses Dauernde aber ist der Gegen-
stand der Kunst. Jndem jenes Schaubare, das wir das unnotwendige und
fessellose genannt haben, darauf angewiesen ist, immerfort neues Vergang-
liches aufzubieten und aneinanderzureihen, vermag es keine andere Wirkung
hervorzubringen, als zu zerstreuen. Das ist sein Vorteil; denn dieMasse will
zerjlreut sein. Die Schaubühne sammelt. Das ist ihr Vorteil; denn der Mensch
will gesammelt sein. llnd hierin besteht die Ehre und die 2Lnrde der Bühne.
Jmmer noch hat ihr konzentriert Schanbares die besondere Liebe der Geistigen
gefunden, weil es mit einmaliger, nie wteder so erscheinender Schönheit ein
rührendes, mit dem persönlichen Einsah des Künstlers und der augenblicklichen
künstlerischen und menschlichen Verantwortlichkeit ein edles Geschehen darstellt.
Diese Hingabe als eben slattgehabtes Ereignis erweisen zu können, ist aber
alleiniger Besitz der Bühne, und es ist ein beglückender Gedanke, daß dies all-
abendlich an so vielen Kunsistätten vor sich gehk.
2lber man könnte nun fragen, ob die Menschen denn diese Lust am Notwen-
digen, die die Schaubühne durch das konzentriert Schaubare hervorrufk, auch
wirklich zu empfinden gewillk sind, ja ob sie dessen, gar in unsrer Zeit, über-
haupt noch fähig sind. Osfenbar kann die Fähigkeit zu dieser wie zu anderen
Lustempfindungen in frigiden und hysterischen Einzelnen herabgeseHt sein, ja
es ist zuzugeben, daß es ganze Schichten in der Gesellschaft und Strömungen
im Zeitempfinden gibt, die ihr abgünstig sind, dank Einrichknngen ekwa, die das
Empfindungsleben eikel und steril machen und den Menschen anhalten, von
dem Seinigen hinwegzudenken. Davon geschiehk freilich reichlich viel in unsrer
Zeik. Eine überwiegende Bedeutung möchten wir dem jedoch nicht beimessen.
llnd die Bedenken zerstreuen sich dem von selbst, der unsere Anschauung teilt,
nämlich daß eine Lust am Motwendigen, wie wir sie ncnnen, dem Menschen
eingeboren ist. Wir sehen sie den sittlichen Elementen im Menschen nahe ver-
bunden, denn das erjte Notwendige im Leben unter Menschen 'zielt auf sitLr-
liche Entscheidungen hin. Da wir also die Lust am Notwendigen für so tief-
liegend halten, so glauben wir auch, daß es mit ihrer verminderten Reizbarkeit
so wie auf anderen Gebieten auch steht, nämlich daß die Nntur das ihr Gemäße
immer wieder mit Entschiedenheik herzustellen trachket. Noch ein jeder außer dem
Dumpfen und dem Narren ringk danach, einen größeren und freieren Anblick des
Lebens zu gewinnen. Denn in einem solchen ist ihm wohl. Hat ihm die Schaubühne
hierin nur einmal wohlgctan, so wird er es auch ein zwcitesmal suchen konnnen.
Er kommt Lujt suchen. llnd es bietek sich ihm, so tuk die Kunst, der Geist.
Dem Andenken Heinrichs von Kleist
Von Paul Alverdes
s gibk eine gewisse Gattung von Liebhabern und Kennern der Philoso-
phie — und man begegnek ihnen auch auf akademischen Lehrstühlen nicht
gerade selten —, denen kein Säulen- nnd Pfeilergewächs von Gedanken
zu dicht oder zu kühn ist, das sie nicht nachzudenken, und kein Weg, von einem
Einsamen einmal begangen, zu abgelegen oder zu gefährlich, den sie nicht aus-
zuspüren und in den Fußstapfen des Vorangeschritkenen säuberlich nach-
liches auszeigL anstatt seines Dauernden. Dieses Dauernde aber ist der Gegen-
stand der Kunst. Jndem jenes Schaubare, das wir das unnotwendige und
fessellose genannt haben, darauf angewiesen ist, immerfort neues Vergang-
liches aufzubieten und aneinanderzureihen, vermag es keine andere Wirkung
hervorzubringen, als zu zerstreuen. Das ist sein Vorteil; denn dieMasse will
zerjlreut sein. Die Schaubühne sammelt. Das ist ihr Vorteil; denn der Mensch
will gesammelt sein. llnd hierin besteht die Ehre und die 2Lnrde der Bühne.
Jmmer noch hat ihr konzentriert Schanbares die besondere Liebe der Geistigen
gefunden, weil es mit einmaliger, nie wteder so erscheinender Schönheit ein
rührendes, mit dem persönlichen Einsah des Künstlers und der augenblicklichen
künstlerischen und menschlichen Verantwortlichkeit ein edles Geschehen darstellt.
Diese Hingabe als eben slattgehabtes Ereignis erweisen zu können, ist aber
alleiniger Besitz der Bühne, und es ist ein beglückender Gedanke, daß dies all-
abendlich an so vielen Kunsistätten vor sich gehk.
2lber man könnte nun fragen, ob die Menschen denn diese Lust am Notwen-
digen, die die Schaubühne durch das konzentriert Schaubare hervorrufk, auch
wirklich zu empfinden gewillk sind, ja ob sie dessen, gar in unsrer Zeit, über-
haupt noch fähig sind. Osfenbar kann die Fähigkeit zu dieser wie zu anderen
Lustempfindungen in frigiden und hysterischen Einzelnen herabgeseHt sein, ja
es ist zuzugeben, daß es ganze Schichten in der Gesellschaft und Strömungen
im Zeitempfinden gibt, die ihr abgünstig sind, dank Einrichknngen ekwa, die das
Empfindungsleben eikel und steril machen und den Menschen anhalten, von
dem Seinigen hinwegzudenken. Davon geschiehk freilich reichlich viel in unsrer
Zeik. Eine überwiegende Bedeutung möchten wir dem jedoch nicht beimessen.
llnd die Bedenken zerstreuen sich dem von selbst, der unsere Anschauung teilt,
nämlich daß eine Lust am Motwendigen, wie wir sie ncnnen, dem Menschen
eingeboren ist. Wir sehen sie den sittlichen Elementen im Menschen nahe ver-
bunden, denn das erjte Notwendige im Leben unter Menschen 'zielt auf sitLr-
liche Entscheidungen hin. Da wir also die Lust am Notwendigen für so tief-
liegend halten, so glauben wir auch, daß es mit ihrer verminderten Reizbarkeit
so wie auf anderen Gebieten auch steht, nämlich daß die Nntur das ihr Gemäße
immer wieder mit Entschiedenheik herzustellen trachket. Noch ein jeder außer dem
Dumpfen und dem Narren ringk danach, einen größeren und freieren Anblick des
Lebens zu gewinnen. Denn in einem solchen ist ihm wohl. Hat ihm die Schaubühne
hierin nur einmal wohlgctan, so wird er es auch ein zwcitesmal suchen konnnen.
Er kommt Lujt suchen. llnd es bietek sich ihm, so tuk die Kunst, der Geist.
Dem Andenken Heinrichs von Kleist
Von Paul Alverdes
s gibk eine gewisse Gattung von Liebhabern und Kennern der Philoso-
phie — und man begegnek ihnen auch auf akademischen Lehrstühlen nicht
gerade selten —, denen kein Säulen- nnd Pfeilergewächs von Gedanken
zu dicht oder zu kühn ist, das sie nicht nachzudenken, und kein Weg, von einem
Einsamen einmal begangen, zu abgelegen oder zu gefährlich, den sie nicht aus-
zuspüren und in den Fußstapfen des Vorangeschritkenen säuberlich nach-