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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 5 (Februarheft 1928)
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Tribüne
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0381

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reichen Kunstfreimde weiterkaufen, gingen die Bilder der deutschen Sperrliste
die eine Art von Lagerliste zu werden scheint — immer noch nach Amerika? Würde
immer noch der neueste Rubens, der neueste Rembrandt, der neueste Primikive in
diese Dekorationshäuser wandern? Wäre Amerika immer noch der beste Käuser der
alten Kunst? Und umgekehrt, bliebe wohl die lebende amerikanische Kunst immer noch so
unbedeutend, unselbständig, europäisch? Kurzum, halten Sie es sur ein Glück, der
Erbe alles einst Lebendigen, einst Europäischen, einst Gültigen zu sein? Und wie
denken Sie über den Kunstort, an und aus dem diese Gebilde gewachsen sind? Soll
man wirklich das Edelweiß der Kunst in jedes Zimmer, in jedes Klima, in jede
Vitri'ne stellen? Jst Kunst wirklich ein Versatzstück, ein Nequisit, ein Sammelobjekt
sür die neue Welt? Jch kann mir nicht helsen, ich empsinde immer wieder den
ungeheueren Widersprnch zwischen dem neuen, eigenen, gesetzmäßigen Leben und
Lebensstil Amerikas und dem alten, importierten, wesenssremden Leben und Kunst-
stil Amerikas. Da stimmt doch etwas nicht! Da wird Europa zum Verhängnis,
wie ja überhaupt die Europäisierung jeder Kolonie und jeden Auslandes ein Vev-
hängnis ist. Da fehlt es an Mut, Ehrlichkeit, Freiheit, Trotz, da wird nachgesessen,
nachgeholt, nachgelernt — vergebens gottlob! — da wird abgeschaut, kopiert, mit-
gesündigt, da hängt das tote Europa wie eine sremde Aussicht im Fenster, da wächst
etwas nicht, weil es nur in sremden Boden verpflanzt ist. Nicht genug, daß unser
Europa die Kunst- und Rumpelkammer der ganzen Weltgeschichte geworden ist,
so daß wir im Übersluß des Gewesenen verschmachten und im Erbe ersticken —
wird da drüben, wo man lächelnd und leicht psychisch wie historisch auf siebzehn
Jahrhunderte und ,'hre Trojaschichten verzichten könnte und sollte, das nicht Er-
worbene, nicht Ererbte mit Sack und Pack alerandrinisch eingeweckt, schlimmer noch,
eingebaut! Offen gesagt: ist es nicht barbarisch, snobistisch, stillos, sich die Urahnen
fremder Menschen ins Zimmer zu hängen und eine Verwandtschaft zu spielen, die
man eben nicht hat? Jst eine Ahnengalerie bei einem Neureichen lächerlicher als
diese europäische Kunstpracht, und ist ein Rembrandt, vor dem Tee getrunken, ge-
bridget, gesnobt, geseufzt wird, etwas anderes in Amerika als ein fremdes Ahncn-
bild! Jst es schon fraglich, ob wir mit unserer europäischen Einfühlung in die ver-
schütteten Denk- und Schaustollen der Kunstwerke eindringen können — und ich be -
streite es geradezu für die allermeisten! —, so ist es einfach nicht fraglich, daß
der amerikanische Geist diese Kunstkörper nicht mehr beseelt und mit keinem Wissen
und Willen beleben kann! Das klingt negativ, ist aber positiv gemeint, denn die Auf-
erweckung des Toten ,'st einfach ein Unglück und nur für die Wissenfchaft zu wün-
schen! Es ist stillos von Amerika — wenn es auch nur seine Gebildeten tun —, sich
so sehr Europa anzugleichen und zuzudenken, statt stolz auf das eigene entelechische
Gesetz seine Autonomie auSzuleben und durchzubilden! Denn überall da, wo sich
amerikanisches Leben seine Form schafft, hat es eine neue, eigene, gewachsene Form,
die nicht nur Zweckform ist. Warum also importi'ert es Kunst und Religion in
allen Stilen und Formen und läßt sich von London und Paris imponieren! Jst
das immer noch „Kolonialstil", und ist das nicht die Folge der unseligen Kunst-
währung? Eine Auster, die ein Karpfen werden will, verdiente fast zur Strafe —
ein Karpfen zu werden. Diese Auster aber bewundern, weil sie karpfenmäßi'g fühlt
— das, lieber Freund, verzeihen Sie — das ist karpfenmäßig! Das mußte ge-
sagt werden, auch wenn Sie enksetzt den Kopf schütteln! „Verbiete Du dem Seiden-
wurm, zu spinnen . . .

Aber er schreibt Jhnen gern imd bald wieder! Für heute nur dies Bekenntnis, das
ich Jhnen verdanke und das die Brust des argen Stoffs entlädt. Holde Nymphe!
schließe mich in Deine Kunstgebete ein!

Und so forkan herzlich wie immer
der Jhrige.

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