selben Blick umfaßt, und sagte: „Mir ist ein Licht ausgegangen in dieser
Stunde. Fragt Mlch klicht, wieso? und welches? — jch wüßke es euch doch mcht
ganz zu crklären! Aber wahrhastig und redlich bitte ich euch: verzeihet mir
liebevoll all meine Schuld! Jch kenne sie nun. Wer einzig und allein nur
sich selber betrachtek, muß arm werden; und der Arme wird ungerecht! Da
ist es, bei GoLL, schon besser, man nimmt sogar den nächstbesten Kieselslein —
oder einen Teller! — zu wichtig, als sich selber! Wozu also sollten wir vier
voneinandergehen? Fm Gegenteil! Einander wichkig nehmen wollen wir,
— und Alles wird sich einrenken! Kommt! Laßt mich dableibeu, und bleibt
auch da!"
Wic Verstcinerte slanden die Drei um sie herum. Keiner hatke auch nur ein Wort
verstanden. Keiner vermochte auch nur den Mund auszukun. Jeder aber — ob
er nun wollte, oder nicht — war doch zu nichts anderem imslande, als ihr ver-
lcgcn zuzutrippeln und zulcHt, dicht vor ihr, aufatmend halLzurnachen.
Das Formgeheimnis der biblischen Er^ählungen
Von Franz Rosenzweig
Martin Buber zum 8. 2. 1928.
I.
0 Goethe in seiner Lebensbeschreibung an die Wirkung der Wieland
Eschenburgschen ProsaüberseHung Shakespeares auf ihn selbst und
scine Generation zu sprechen kommt, fordert er für die Iugend, zugunsteu
eigentlich tieser und gründlicher Wirksamkeit des Gehalts, ganz allgemeiu
ProsaüberseHungen von Gcdichken und erinnert an Luthers BibelüberseHung:
„Daß dieser Lressliche Mann ein in dem verschredensten Stile versaßtes Werk
und dessen dichterischen, geschichtlichen, gebietenden, lehrenden Ton uns iu
der Muttersprache wie aus einem Gusse überlieferte, hat die Relr'gion
mehr gesördert, als wenn er die Eigentümlichkeiten des Originals im einzelneu
hätte nachbilden wollen. Vergebens hat man nachher sich mit dem Buche Hiob,
den Psalmen und andern Gesängen bemüht, sie uns in ihrer poetischen
Form genießbar zu machcn. Für die Menge, aus dre gewirkt werden soll,
bleibt eine schlichte Übertragung immer dre beste. Jene kritischen ÜberseHungen,
die mit dem Original wetkeifern, dienen eigentlich nur zur Unterhaltung der
Gelehrten unkereinander."
Das sagt der große Schüler Herders, der ehemalrge NeuüberseHer des
Hohen Lieds, „der herrlichsten Sammlung Liebeslieder, die Gotk erschaffeu
hat". Also rst es wichtig, wie jede Er'nsicht, die sich ihr Seher etwas hat
kosten lassen. Und wirklich rührt Goethe sa in diesen Worten an eine Keru
srage des Sprechens und Hörens des bi'blischen Worts, und es ist bezeichnend,
daß auch lhm, wie jedem, der die Frage ernst nimmt, zunächst ein Entweder
Oder als einzigmögliche Lösung erscheint: zwischen religiösem Gehalt und
ästhetrscher Form gibt es kcinen Friedensschluß, die Frage heißt: Poesie
oder Prosa?
Aber so notwendig — persönlich und geschichklich notwendig — immer loieder
diese bilderstürmerische Stimmung ist, die den Knoten des Problems zerhaueu
möchte, so wenig hilft sie doch zu dauernder Lösung. Poesie ist ja von Prosa
nicht durch einen unübersteiglichen Wall geschieden. Es gibt keinen ganz form-
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Stunde. Fragt Mlch klicht, wieso? und welches? — jch wüßke es euch doch mcht
ganz zu crklären! Aber wahrhastig und redlich bitte ich euch: verzeihet mir
liebevoll all meine Schuld! Jch kenne sie nun. Wer einzig und allein nur
sich selber betrachtek, muß arm werden; und der Arme wird ungerecht! Da
ist es, bei GoLL, schon besser, man nimmt sogar den nächstbesten Kieselslein —
oder einen Teller! — zu wichtig, als sich selber! Wozu also sollten wir vier
voneinandergehen? Fm Gegenteil! Einander wichkig nehmen wollen wir,
— und Alles wird sich einrenken! Kommt! Laßt mich dableibeu, und bleibt
auch da!"
Wic Verstcinerte slanden die Drei um sie herum. Keiner hatke auch nur ein Wort
verstanden. Keiner vermochte auch nur den Mund auszukun. Jeder aber — ob
er nun wollte, oder nicht — war doch zu nichts anderem imslande, als ihr ver-
lcgcn zuzutrippeln und zulcHt, dicht vor ihr, aufatmend halLzurnachen.
Das Formgeheimnis der biblischen Er^ählungen
Von Franz Rosenzweig
Martin Buber zum 8. 2. 1928.
I.
0 Goethe in seiner Lebensbeschreibung an die Wirkung der Wieland
Eschenburgschen ProsaüberseHung Shakespeares auf ihn selbst und
scine Generation zu sprechen kommt, fordert er für die Iugend, zugunsteu
eigentlich tieser und gründlicher Wirksamkeit des Gehalts, ganz allgemeiu
ProsaüberseHungen von Gcdichken und erinnert an Luthers BibelüberseHung:
„Daß dieser Lressliche Mann ein in dem verschredensten Stile versaßtes Werk
und dessen dichterischen, geschichtlichen, gebietenden, lehrenden Ton uns iu
der Muttersprache wie aus einem Gusse überlieferte, hat die Relr'gion
mehr gesördert, als wenn er die Eigentümlichkeiten des Originals im einzelneu
hätte nachbilden wollen. Vergebens hat man nachher sich mit dem Buche Hiob,
den Psalmen und andern Gesängen bemüht, sie uns in ihrer poetischen
Form genießbar zu machcn. Für die Menge, aus dre gewirkt werden soll,
bleibt eine schlichte Übertragung immer dre beste. Jene kritischen ÜberseHungen,
die mit dem Original wetkeifern, dienen eigentlich nur zur Unterhaltung der
Gelehrten unkereinander."
Das sagt der große Schüler Herders, der ehemalrge NeuüberseHer des
Hohen Lieds, „der herrlichsten Sammlung Liebeslieder, die Gotk erschaffeu
hat". Also rst es wichtig, wie jede Er'nsicht, die sich ihr Seher etwas hat
kosten lassen. Und wirklich rührt Goethe sa in diesen Worten an eine Keru
srage des Sprechens und Hörens des bi'blischen Worts, und es ist bezeichnend,
daß auch lhm, wie jedem, der die Frage ernst nimmt, zunächst ein Entweder
Oder als einzigmögliche Lösung erscheint: zwischen religiösem Gehalt und
ästhetrscher Form gibt es kcinen Friedensschluß, die Frage heißt: Poesie
oder Prosa?
Aber so notwendig — persönlich und geschichklich notwendig — immer loieder
diese bilderstürmerische Stimmung ist, die den Knoten des Problems zerhaueu
möchte, so wenig hilft sie doch zu dauernder Lösung. Poesie ist ja von Prosa
nicht durch einen unübersteiglichen Wall geschieden. Es gibt keinen ganz form-
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