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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 1 (Oktoberheft 1927)
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Michel, Wilhelm: Unschuld des Lebens
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0016

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Eine Lebensordnung, die, weltoffen und wirklichkeiLsverbunden, doch den ganzen
inneren Beftand des Menschen sicherk, wird sich gerade das AnrechL anf
Kunft, Dichtung und Musik nichL verkümmern lassen, solange wenigstens das
Menschliche sich des Anspruchs aus Sammlung, Staunen, Glück und das
Wunder der Verwandlung nichk begeben kann. lknd von hier aus gewinnL
Avenarius' Gedanke erst seinen wahrhasL Lragenden Sinn, daß er, im Gegen-
jaH zu der idealistisch-romantischen Aussassung, die Kunst dem Leben wesen-
hast zuordneL, daß er ihr eine lebensteigernde, -sördernde und -bereichernde wirk-
same Macht zuschreibL. Und wir bckennen uns allerdings zu der Überzeugung,
daß wahre Kunst niemals dem Leben in der Wirklichkeit Kräfte entziehen
könnte, glauben nicht, daß sie eine spielerische, müßige und entbehrliche Sache
sei, die man den PhanLasten und ULopisten, den Akademikern und Snobs über-
lassen müßte. Wenn sie aber eine hohe und ernsthafte AngelcgenheiL iß und
lösende, enkspannende, befreiende Kräste in die ArbeitswelL, in die TrivialiLät
dcs AllLags abzugeben hak, dann verbietet sich auch jegliche ArL von Miß-
brauch mik ihr, jede Beschäftigung, die nichL wirkliche EmpfänglichkeiL und
ernsthaste MitLätigkeiL ist. AuLoren und Schriftleitung fühlen sich gemein-
sam veranLwortlich für diese ernsthafLe AngelegenheiL.

Der kommcnde Jahrgang insbesondere sieht seine Aufgabe darin, die Zcit-
schrift stärker zu vereinheitlichen, zu steigern und zu verlebendigen und vor
allem den kritijchen Tcil mehr als bisher (auch durch reichere Zllustrierung
und Darbietung von DichLungen) anschaulich zu stützen. Hiefür erbitken wir
vor allcm auch dic Hilse der Leserschaft und glaubcn uns dabei auf die von
jcher bestehenden lebendigcn Beziehungen zu ihr bcrufen zu können. Bon ihrer
Mitwirkung in Wünschen, Vorschlägen, Kritik erwarken wir cine ständig
wachsende, sruchtbare Wirkung, cine Bestäligung der Gemeinsamkeit der
Sache und ihres WerLes sür den Einzelnen und die Gesamtheit, der wir alle
verpslichkek sind. Die SchrisLleitung

Unschuld des Lebens

Von Wilhelm Michel

si^--ine große Forderung lautet: Tue recht. Aber eine größere und heute viel-
^-^leicht wichtigere lautet: Tue echt. Zn dcr ersten Forderung bezieht sich der
Mensch auf Maßstäbe überpersönlicher und geistiger ArL. Jn der zweiten
bezieht er sich aus den Kern seiner PersönlichkeiL und stellt sein Handeln vor
allem unter die Forderung der WahrheiL. Die Echtheitsforderung laukek:
Haudle vollwertig. Handle sestlegend und geschöpslich. Handle so, daß dein
Tun dich wahrhask enthält und verbindet. Handle aus Ilnjchuld des Lebens.
Was heißt das?

Jch blicke auf die Grcise, auf die Liebenden; vor allem auf diejenigen Men-
schcn, die viel gelitten haben. Sie sind einsach geworden. Sie habcn die Spal-
Lung hinter sich gebracht. Sie haben die große Störung des geschöpflichen
Friedens, die durch das AufLreken des bewußten und blickendcn Gcistes her-
vorgerusen wurde, überwunden. Das Leben geht frei aus ihncn hervor wie das
LichL ans der Flamme. Sie haben — man denke da vor allcm an dic Leiden-
den — eine Kühnheit, die keine Gesahr zu achten schcint. Sie lcben voll llleuL

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