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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 1 (Oktoberheft 1927)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0085

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u Emil Noldes Bildern. Ein
Exstaliker, wenn auch anderer Art als
Grünewald, ist Noldc. Sie haben ihn
elnen Erpressioni'sten genannt, wogegen
er sich gewehrt: „Jch mag es ni'cht, es
ist beengend." Er hat recht. Abgesehen
davon, daß im Expressionismus viel
Krampf und Hysterie war, umfaßt diese
Bezeichnung zu Berschiedenes und sagt im
letzten über Art und Grad des Ausdrucks-
mäßigen zu wenig Konkretes. Ich will
mit der obigen Charakteristik Noldes
Wesen und Kunst auf kein neues Schlag-
wort bringen, nur das andeuten, was
mir als das Stärkste und zngleich als
das Eigenste an seinen Schöpfungen er-
scheint. Man sollte eines Menschen und
KünstlerS Art nur nach seinem Besten
und Höchsten ermessen, alles andere als
Tribut an die Unzulänglichkeit unserer
Existenz mit in den Kauf nehmen. Stelle
ich mich so ein, dann spricht auS Noldes
stärksten Werken eine Naturerfüllthcit und
Naturergriffenheit von einem Umfang,
einer Tiefe nnd Kraft, die höchst selten
und die meisten ersticken, fast erwürgen
oder wenigstens verzerren und lähmen
würde — und das ist alles frei von after-
mystischer Dösigkeit und Dumpfheit, von
Krampf und Getue, ist hell, licht, taghaft.
Ein ganz gesunder Mensch, der viel denkt,
erlebt die Natur zuletzt visionär und gibt
seine Gesichte mit der Brunst und Jn-
brunst solcher Erlebnisse. Deshalb hat er
Zeiten langer Brache, wie solche eines
taumelhaften Schaffens, da alles Auf-
gespeicherte urhaft zur Form drängt.
Daraus erklärt sich die zusammengepreßte
Erscheinung seiner Gesichte, die holzge-
schnitzte Art seiner Menschen wie das
Ballige, Schwere von Wolken, Wasser
und Land, erklärt sich der massige Auf-
wand seiner Farbe, die wie dickflüssiges
Metall von Hitze trieft oder krustig ver-
harscht und schrundet. Derselbe Künstler,
der gegenüber solch innerem Ansturm die
Oberhand behältund ihn zur Fornt zwingt,
ist für das Stille, Weiche, Schwebige,
Zarte nicht wem'ger empfindsam und ge-
staltungsfähig. Und diese Seite seinesWe-
sens spricht sich vor allem im Aquarell und
in Tintenmalereien aus. Jch kenne hierin
keine höhere Meisterschaft der Form und
Poesie; es ist ofk, als ob Nolde mit
einem Schwamm alle farbige Sustanz,
allen Duft, alle Süßigkeit und Fülle
aus einer Blnme herausholte und auf ein
Blatt Papier abklatschen würde; wie aus

dem Schmelz von Schmctterlingsflügeln
scheint mancher Blütenzweig gewoben —
und dann ist wieder soviel saftige,
strotzige, üppige Natur gegeben: wie
werden exotische Fische zu farbigen
Blendwerken, im schwebigen Wasser, wie
glühen Südseeinsulaner wic große rcife
Früchte in Sonnenglut auf!
sxmmer geht eü bei aller verblüffendcn
Naturnähe nicht um diese, sondern um
die Kunst, um den Geist und das Erleben.
„Je mehr man sich von der Natur ent-
fernen kann und doch natürlich bleibt, um
so größer ist die Kunst" hat Noldc einmal
gesagt. fxn solchem Sinn malte er Land-
schaften aus seiner schleswig-holstcinischen
Heimat und Blumengärten, aber auch
biblische Bilder, die frei von allem Dog-
matischen und Historischen nur daö
menschlich Erschütternde gebcn. Mir per-
sönlich am liebsten ist sein großes Trip-
tychon ans dcm Leben der „Ägyptischen
Maria" (Kirchhoff, Mannheim). Jch
habe im Wiesbadener Museum, wo das
Werk Leihgabe ist, oft die Hilflosigkeit oder
das sich Abgestoßenfühlcn der Betrach-
ter wahrgenommen, aber auch ebenso ost
erfahren, daß einige Winke für die Be-
trachtung schnelles Derständnis, Bewun-
derung, Ergriffenheit erregten. Dic
Angen der meisten sind gehaltcn, aber
noch mehr ihr inncrer Sinn. So ist
Nolde, der hener den 60. Gebnrtstag
feierte, immer noch sehr umstrittcn,
auch führenden Kritikern schwer zn-
gänglich.

Jch glaubte mit diesen paar Worten dcn
mir persönlich unbekanntcn Mcistcr grü-
ßen zu müssen und unsere Leser auf seine
Werke einzustellen, wenn sie ihnen bc-
gegnen. Hier herrscht eine durchaus nor-
dische, deutsche Geistigkei't, der die Kunst
Selbstentäußerung, Mitteilung kiefster
Erlebnisse auch im Sinnlichen ist. AuS
solcher Hingegcbenheit an dic innere
Welt gewinnen Formen nnd Farben wie
Licht und Raum, Statik und Dynarnik
dieser Büdcr ein nur ihnen cigencs Gc-
sicht und Leben, aber zngleich auch die
Kraft des Mitrcißens und Gefangenneh-
mens.

Wir verdanken dem „Münchener Graphi-
schen Kabinekt", dessen feinfühliger Leiter
erst jüngst eine gewählte Nolde-Ausstel-
lung veranstaltete, die Wiedergabe unserer
Nolde-Blätter, die den Aquarellisten an-
deuten. Nicht mehr! Obwohl unser far-
biges Blatt cine sehr gute Leistung ist,

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