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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 1 (Oktoberheft 1927)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0059

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Aufgabe so lange getrost von sich schieben, bis sie sich vielleicht — ettva in einem 2ln-
fail von genialem Mut — zu einer kühn durchgeführten Emseitigkeit entschließen kön-
nen. Jm ganzen aber ist tvohl zu sagen, daß der eindeutige Stil der Zukunft, um,
dessen vorbereitende Formen sich jeder wissende Mensch der Gegenwart an seiner
Stelle müht, aus einer tieferen, aus der religiösen Sphäre kommen wird — und
daß sich die Herren hier an der Peripherie plagen. Jnzwischen mögen sie sich um die
technischen Mittel ihrer Kunst bemühen und von den Amerikanern den Bewegnngs-
humor eines durch keinerlei „filmische Weltanschauung" getrübten Spieles lernen.
Filmische Weltanschauungsklitterungen von der Art des „Metropolis" sind gerade
als Bersuche in der Sphäre deutschen Geistes doppelt problematisch. Der deutsche
Mensch, eingespannt zwischen der hellen und rationalen Lebenskultur des französischen
Bolkes und der dumpfen Lebensbesessenheit der Russen, hat wie kein anderer Men-
schentyp in Europa um Klarheit, um seine eigene Bewußtseinswerdung zu kämpfen.
Er sieht bei den Nachbarvölkern bereits fertig gestaltete Formen gesellschaftlich-
politischen ZusammenlebenS, er bemüht sich um die Angleichung dieser sozial-mensch-
lichen Lebensformen an den Gesellschaftskörper des eigenen Bolkes, bis er eines
Tages erkennen muß, daß ihm ein unerbittliches Geschick die schöpferische Synthese
zwischen Ost und West (zwischen zwei polaren Spannungen der Menschhelts-
bewegung) als unabweisbare Aufgabe auferlegt hat. Handelt da nicht im unent-
schuldbaren Sinne verwirrend, wer ihm im Film — im Augenblick der Entspan-
nung — die billige Zwischenlösung, den Abrutsch sozialer Probleme in die Derschwom-
menheit des Gefühls vorgaukelt?

Das junge Amerika ist, wenigstens in seinen Filmen, in der glücklichen Lage, mit
eindeutigen Filmtypen seinen Unterhaltungsbedarf (und noch etwas mehr!) zu be-
friedigen. Buster Keaton, Charlie Chaplin und wie sie alle heißen, gestalten immer
wieder in einer äußersten körperlichen Gelöstheit den Kampf des Menschen wider
die Tücken der Materie, einen Kampf, dem das erhebende Moment dadurch nicht
mangelt, daß er immer vom Schwächeren gegen den Stärkeren geführt wird und —
in Amerika! — mit dem Siege des Schwachen, des Getretenen endigt; und wer das
Glück hatte, den russischen Film „Mutter" zu sehen, hat an sich erlebt, wie ein
Filmkunstwerk auch den mitreißen und an die Würde des Menschen mahnen kann,
der politisch die letzten Konsequenzen dieses Films nicht mitzubejahen vermag. UnS
Deutschen scheint sich solche Eindeutigkeit vorerst zu versagen; seien wir tapfer und
entschlossen genug, billige Dortäuschungen auf der Filmleinwand abzulehnen.

Anmerkung: Nachdem wir uns endlich selbst durch Augenschein überzeugen konnten,
fühlen wir uns unsern Lesern und der Allgemeinheit gegenüber verpflichtet daö Thema
„Metropolis" noch einmal aufzunehmen und zu betonen, daß die an dieser Stelle
schon erhobenen Einwendungen nicht schwer genug genommen werden können. Wir
verösfentlichen einen schon in der „Tat" vor einigen Monaten gedruckten Aufsatz,
der sich gegen den Anspruch des Films, als „kulturelle" Leistung zu gelten, wendet
und im Grundsählichen durchaus unsere Billigung findet. Es geschieht öies um so
lieber, als gerade dieser Kritik, wie es scheint von einer rühmlichen Ausnahme ab-
gesehen, in der Presse keinerlei Beachtung geschenkt wurde, wofür die Gründe ja
auf der Hand liegen. Vielmehr wird die Dffeutlichkeit nach wie vor, so neuerdings
von einem stark verbreiteten, „führenden" süddeutschen Blatt durchauS im gegen-
teiligen Sinne beeinflußt. Oder es wird wenigstens geflissentlich gerade das ent--
scheidende Moment übersehen, daß dieser Film sich als geistige Tat auSgibt und
vor allem als deutsche „Oualitätsleistung", als kulturelle Dokumentierung und Wer-
bung im Ausland gedacht war. Nun sind zwar die Rücksichten der Geschäftspresse
in diesem Betracht, wenn auch durchaus nicht hinlänglich und vor allem nicht in ihrer
Bedenklichkeit, bekannt. Aber der Mißerfolg dieser „Kulturpropaganda" hätte schließ-

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