ihr — genauer besehen — die selten un-
geheuerliche Zumutung, Zustände, Le-
bensweise, Denkeinstellung unserer Zeit
schlechthin gutzuheißen und da-
nut einem Optimiömus oberflächlichster
Observanz zuzustimmen. Es ist von hier
aus dann allerdings nur ein kleiner Trug-
schluß, das Sinnsälligste als daS Si-
gnum des Zeitgeistes anzusprechen und zu
behaupten, daß eine sinnvolle Orientie-
rung am einfachsten zu getoinnen sei,
wenn man sich mit dem Gedanken an°
sreunde, im Zeitalter der Technik, dem
lebenbejahenden, zu leben. Es ist nun
aber keinesfalls die höchst sragtoürdige
Basierung dieser Vorstellungen, als vor
allem eine — z. B. dem angeblich „fin-
steren" Mittelalter gegenüber — gerade-
zu erschreckende Ungeübtheit des DenkenS,
die dasür veranttoortlich zu machen ist,
daß bis in tatsächliche AuSwirkungen der
SchassenSweise hinein — z. B. jüngste
Archltektur — billige, bzw. unbillige, Re-
denSarten sormsührende Gestalt gewin-
nen.
Bei der Melsältigkeit des Daseins können
diese oder jene Erlebnisse Anlaß bieten,
zu diesen Fragenkomplexen Stellung zu
nehmen. Der Dersasser dieser Zeilen ist
zu ihnen durch die Besichtigung zweier
gleichzeitiger Ausstellungen, der in Darm-
stadt: „Alte Kunst am Mittelrhein" und
der in Stuttgart „Die Wohnung", ange-
regt worden und hält es sür daS Ech-
fachste, diese persönlichen Anlässe zum
AuSgang der nachsolgenden Betrachtun-
gen zu machen, ohne dabei auf diese Aus-
stellungen selbst eingehen zu wollen. Es
handelt sich dabei nur um einen „Weg",
der auch irgendwie anders laufend aus
das uns in öiesem Falle Wesentliche hätte
führen können. Das tatsächlich Nützliche
an dem Ausgang ist dies, daß solgendes
ungemein deutlich wird. „Die alte Kunst
am Mittelrhein" ist nichts als ein Glied
am Körper der gcsamtdeutschen mittelal-
terlichen Kunst. So sehr alle — äußerli-
chen — Formproblemc etwas mit den
Zeitströmungen zu Lun haben, so ist vhne
Frage deutlich, daß dlese Dokumeritierun-
gen Zeugnisse einer nicht „lebcnbejahen-
den", durchaus außerweltlich orientierten
Gesi'nmmgs- und Erlebnisweise sind (im
Großen und ,'m Wesentlichen). Demge-
genüber kann man sich angesichts der
Stuttgarter Ausstellung des Eindrucks
nicht erwehren, als sei hier alles auf den
Sekundenzeiger und eine restlose Billi-
gung „augenblicklicher", durchaus „leibli-
cher" Einstellung eingerenkt. Es mag
vielleicht unbillig erscheinen, eine im gro-
ßen ganz religiösen Anforderungen ent-
sprungene Kunstbetätigung eirier solchen
gegenüberzustellen, die mit den praktischen
Bedürfnissen momentaner Wohnbaukul-
tur zu rechnen hat. Aber dieser Einwand
ist unrichtig, weil er an dem Prinzip vor-
übergeht. Denn, wenn z. B. das Mittel-
alter ohne Frage eine seinen momentanen
Bedürfnissen Rechnung tragende Wohn-
kultur „auch" besessen hat, so ist sie nur
ein Glied neben weit ausschlußreicheren
Betätigungen, vor allem aber ein nicht
wesentliches, während diese Stuttgarter
Schau die ganze Summe geistig-künstleri-
scher Potenzen ziehen will — und zieht
und als Zeiterscheinung durchaus „leben-
bejahend" ist. Die letztere Feststellung
bedarf einer etwas näheren Begründung.
Ohne den gewaltigen Fortschritt unseres
Wohnbauwesens in hygienischer Hirisicht
bezweifeln oder gar eine Kritik an den
Leistungen der Stuttgarter Ausstellung
vornehmen zu wollen, ist, lediglich als
eine typische Zeiterscheinung, ein überaus
ängstliches Bedachtnehmen auf das leib-
liche Wohl und damit eine Formsetzung
festzustellen, die z. B. bei einzelnen Jn-
neneinrichtungen verzweifelt an Kranken-
häuser erinnert (besonders Haus Gro-
pius). Die Berechtigung oder Nichtbe-
rechtigung steht nicht zur Diskussion,
symptomatisch ist die Tatsache. Mit ihr
hängt zwangsläusig zusammen, daß rein
technische Lösungen in den Bordergrund
gerückt sind und sich deutlich eine llber-
schätzung dieser mechanischen Möglichkei-
ten geltend macht. Selbstverständlich hat
jede Zeit die ihr gegebenen Voraussetzun-
gen denkbar weitgehend auszunützen ver-
sucht, und es kann der Stuttgarter AuS-
stellung ehrlich zugestanden werden, daß
ihre Leistungen das in vollem Maße ge-
tan haben. Es sragt sich lediglich, ob die
Voraussetzungen Billigung verdienen und
welche den Vorzug beanspruchen köunen.
Da aber zeigt ein Vergleich, zu dem man
zwischen Darmstadt und Stuttgart ge-
radezu gezwungen wird, daß die mittel-
alterlichen in jeder Hinsicht überlegen sind.
Wir kommen damit zum Kernproblem
dieser Abhandlung.
Die Phrase von „der lebenbejahenden
Einstellung" bedeutet nichts anderes als
eine rcstlose und alleinige Billigung unse-
rer leiblichen Bedürsnisse, während das
47
geheuerliche Zumutung, Zustände, Le-
bensweise, Denkeinstellung unserer Zeit
schlechthin gutzuheißen und da-
nut einem Optimiömus oberflächlichster
Observanz zuzustimmen. Es ist von hier
aus dann allerdings nur ein kleiner Trug-
schluß, das Sinnsälligste als daS Si-
gnum des Zeitgeistes anzusprechen und zu
behaupten, daß eine sinnvolle Orientie-
rung am einfachsten zu getoinnen sei,
wenn man sich mit dem Gedanken an°
sreunde, im Zeitalter der Technik, dem
lebenbejahenden, zu leben. Es ist nun
aber keinesfalls die höchst sragtoürdige
Basierung dieser Vorstellungen, als vor
allem eine — z. B. dem angeblich „fin-
steren" Mittelalter gegenüber — gerade-
zu erschreckende Ungeübtheit des DenkenS,
die dasür veranttoortlich zu machen ist,
daß bis in tatsächliche AuSwirkungen der
SchassenSweise hinein — z. B. jüngste
Archltektur — billige, bzw. unbillige, Re-
denSarten sormsührende Gestalt gewin-
nen.
Bei der Melsältigkeit des Daseins können
diese oder jene Erlebnisse Anlaß bieten,
zu diesen Fragenkomplexen Stellung zu
nehmen. Der Dersasser dieser Zeilen ist
zu ihnen durch die Besichtigung zweier
gleichzeitiger Ausstellungen, der in Darm-
stadt: „Alte Kunst am Mittelrhein" und
der in Stuttgart „Die Wohnung", ange-
regt worden und hält es sür daS Ech-
fachste, diese persönlichen Anlässe zum
AuSgang der nachsolgenden Betrachtun-
gen zu machen, ohne dabei auf diese Aus-
stellungen selbst eingehen zu wollen. Es
handelt sich dabei nur um einen „Weg",
der auch irgendwie anders laufend aus
das uns in öiesem Falle Wesentliche hätte
führen können. Das tatsächlich Nützliche
an dem Ausgang ist dies, daß solgendes
ungemein deutlich wird. „Die alte Kunst
am Mittelrhein" ist nichts als ein Glied
am Körper der gcsamtdeutschen mittelal-
terlichen Kunst. So sehr alle — äußerli-
chen — Formproblemc etwas mit den
Zeitströmungen zu Lun haben, so ist vhne
Frage deutlich, daß dlese Dokumeritierun-
gen Zeugnisse einer nicht „lebcnbejahen-
den", durchaus außerweltlich orientierten
Gesi'nmmgs- und Erlebnisweise sind (im
Großen und ,'m Wesentlichen). Demge-
genüber kann man sich angesichts der
Stuttgarter Ausstellung des Eindrucks
nicht erwehren, als sei hier alles auf den
Sekundenzeiger und eine restlose Billi-
gung „augenblicklicher", durchaus „leibli-
cher" Einstellung eingerenkt. Es mag
vielleicht unbillig erscheinen, eine im gro-
ßen ganz religiösen Anforderungen ent-
sprungene Kunstbetätigung eirier solchen
gegenüberzustellen, die mit den praktischen
Bedürfnissen momentaner Wohnbaukul-
tur zu rechnen hat. Aber dieser Einwand
ist unrichtig, weil er an dem Prinzip vor-
übergeht. Denn, wenn z. B. das Mittel-
alter ohne Frage eine seinen momentanen
Bedürfnissen Rechnung tragende Wohn-
kultur „auch" besessen hat, so ist sie nur
ein Glied neben weit ausschlußreicheren
Betätigungen, vor allem aber ein nicht
wesentliches, während diese Stuttgarter
Schau die ganze Summe geistig-künstleri-
scher Potenzen ziehen will — und zieht
und als Zeiterscheinung durchaus „leben-
bejahend" ist. Die letztere Feststellung
bedarf einer etwas näheren Begründung.
Ohne den gewaltigen Fortschritt unseres
Wohnbauwesens in hygienischer Hirisicht
bezweifeln oder gar eine Kritik an den
Leistungen der Stuttgarter Ausstellung
vornehmen zu wollen, ist, lediglich als
eine typische Zeiterscheinung, ein überaus
ängstliches Bedachtnehmen auf das leib-
liche Wohl und damit eine Formsetzung
festzustellen, die z. B. bei einzelnen Jn-
neneinrichtungen verzweifelt an Kranken-
häuser erinnert (besonders Haus Gro-
pius). Die Berechtigung oder Nichtbe-
rechtigung steht nicht zur Diskussion,
symptomatisch ist die Tatsache. Mit ihr
hängt zwangsläusig zusammen, daß rein
technische Lösungen in den Bordergrund
gerückt sind und sich deutlich eine llber-
schätzung dieser mechanischen Möglichkei-
ten geltend macht. Selbstverständlich hat
jede Zeit die ihr gegebenen Voraussetzun-
gen denkbar weitgehend auszunützen ver-
sucht, und es kann der Stuttgarter AuS-
stellung ehrlich zugestanden werden, daß
ihre Leistungen das in vollem Maße ge-
tan haben. Es sragt sich lediglich, ob die
Voraussetzungen Billigung verdienen und
welche den Vorzug beanspruchen köunen.
Da aber zeigt ein Vergleich, zu dem man
zwischen Darmstadt und Stuttgart ge-
radezu gezwungen wird, daß die mittel-
alterlichen in jeder Hinsicht überlegen sind.
Wir kommen damit zum Kernproblem
dieser Abhandlung.
Die Phrase von „der lebenbejahenden
Einstellung" bedeutet nichts anderes als
eine rcstlose und alleinige Billigung unse-
rer leiblichen Bedürsnisse, während das
47