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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 1 (Oktoberheft 1927)
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Bücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0081

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Viel einfacher, faßlicher nnd kürzer um-
fchreibt Boynebnrg das gegenlvärtige
ChaoS als eine Folge der „D espokie
der M itte l". Er wünfcht, die Er-
kenntnis möchte allgemein werden, „daß
in immer fteigendem Maße unsere Mit-
tel unsere Herren sind". Er sieht im
Bolfchewismuö und FafchismuS Der-
zweiflungsakte menschlicher Gemeinfchaf-
ten vor der Übermacht der Mittel und
denkt sich die Lösung möglich durch einen
„Europäifchen Faschisnms", dem also
der RationaliSmus fehlt. Was in Jtalien
unbewußt erfolgte, muß in Europa bc-
wußt gefchehen. Da die nationale Autori-
tät eines Mussolini für Europa versagen
würde, müßte die Diktatur für die Völ-
ker durch eine neue übernationale Insti-
tution auSgeübt werden, die etwa
„T a b u" heißen könnte. Parlamente und
Diplomaten, auch der Völkerbund haben
versagt, weil ihnen die wahre Autori -
tät fehlt. Das europäifche „Tabu"
würde ein Kollegium von 60 bis go na-
menlosen Staatsvertretern aus den er-
werbenden Ständen sein, ein Überparla-
ment für internationale Abmachungen.
Pan-Europa sei eine Notwendigkeit.

Jch kann dem Verfasser kaum besser
als mit seinem eigenen Bekenntnis die-
nen: „Niemand ist in der Lage, die
Menschheit so zufammenzufassen, und
so zu organisieren, daß sie das, was
sie will, ausführt. Wir sind alle auf
dem Wege — aber wir unterliegen auch
alle auf dem Wege!"

Wenn es gelänge, den vernünftigen, von
allen nationalistischen Überspannungen
befreiten Lebenswillen der europäischen
Menschheit in einer höchsten Regie-
rungsform zusammenzufassen, wer gäbe
ihr die Macht, ihre Beschlüsse auch
durchzuführen? Ohne Mittel lassen sich
keine Ziele erreichen, und aus Abneigung
vor der „Despotie der Mittel" auf
Mittel überhaupt zu verzichten, wäre eine
zwar neue und interessante, aber doch
ziemlich sichere Form von Selbstmord.
Darum glaube ich nicht, daß dies der
richtige „Weg aus dem Chaos" ist, auch
nicht der Weg zu Pan-Europa, daS
ja nur einen kleinen Teil unserer tech-
nisch und zivilisatorisch verwilderten oder
verlarvten Erde in eine höhere Ordnung
führen könnte.

Jmmerhin, beide Bücher sind als Symp-
tome einer Krisenstimmung lehrreich, die
nicht erst seit Spengler vorhanden ist.

lehrreich nicht nur durch das, waS sie
sagen, sondern vielleicht mehr noch durch
das, was sie nicht sagen können.

E. Kalkschmidt

-X-

Ikiederdeutsches, ein Beitrag zur
Völkerpsychologie, von Julius Lang-
behn, dem Rembrandtdeutschen; mit
einem Nachwort von Benedikt Monune
Nissen (Felsen-Verlag, Buchenbach i.B.).
Schon in Julius LangbehnS Hanptwerk
„Nembrandt als Erzieher" (61.-—66.
Auflage, 1925, Leipzig, C. L. Hirfch-
feld), und in Momme Nissens Langbehn-
Biographie „Vom Rembrandtdeutschen"
(Herder, Freiburg, 1926) trat die fast
leidenschaftliche Liebe zutage, von der
Langbehn, selbst ein Niederdeutscher, für
den niederdeutschen Stamm glühte. Hier,
in diesem nachgelassenen, 60 Seiten um-
fassenden Aufsatze lebt sie sich biö zum
apotheotifchen Hymnus aus. Dithyrain-
bisches Preislied auf die niederdeutschen
Tugenden. Nicht, daß dabei der nieder-
deutschen Fehler vergessen würde. Aber
auch sie werden, in ihren Eigenschaften
als Jmpulse und Komplemente zu die-
sen Tugenden, die das Werk der Volks-
beherrschung, der Staatenbildung und der
schaffenden Kunst leisteten, durchaus posi-
tiv gewertet. Wie räumlich weit Lang-
behn den Radius niederdeutschen Bluts
und Geistes zog, sollen ein paar Sätze
von ihm selber sagen: „Der hannoversche
Bauer wie der Farmer Nordamerikas;
der englische Lord wie der Edelmann des
altcn Venedig; der altmärkische Adlige
und der Boer in Südafrika gehören kör-
perlich und geistig einer einzigen Familie
an." Auf der Grundlage solcher Spann-
weite wurde denn aus der kleinen Arbeit
ein geradezu kulturhistorisches Gemälde,
dem die Einmalung so vielverschiedener
Elemente die starke Farbe, der Vvn Feuer
und Herz getragene Stil Langbehns aber
den kostbaren Glanz einer — niederdeut-
schen! — Germanodizee verleihen. Weil
diese Oualitäten nun durchauö dem heis-
sen Glauben eines Mannes von hohem
Geiste entstammten, verblassen sie heute
auch dadurch nicht, daß Momme Nissen
in seinem „Nachwort" den Anteil unter-
sucht, den etwa rassenkonstruktive Absich-
ten Langbehns an dem Werklein gehabt
haben mochten. Der Leser hat einen
Rhapsoden vortragen gehört und war
schon nach der ersten Strophe im richtigen
Bilde: kein Historikcr, auch kein Tendenz-

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