„Moskau" (G. Braun, Karlsruhe 1927). Sie hängen weder durch Anlaß noch
durch Thema unterelnander zusammen, diese drei Bücher. Drängen jedoch dem
aufmerksamen Leser ihre Synopsis dadurch auf, daß in allen dreien der Pflichtprozeß
des heutigen deutschen Menfchen geführt, und die Gefahren sowohl wie die Mög-
lichkeiten der gegenwärtigen Weltlage für jene Leutfche Zukunft bloßgelegt werden,
deren Eroberung eben dem Gewissenhaften vorfchwebt. Benz ist unter den dreien
der ausgesprochene Binnendeutsche; Halfeld der Auslanddeutsche; Rohan der heutige
österreichisch-deutsche Mensch. Benz geht konstruktiv vor; Halfeld negativ, warnend
und verhindernd; Rohan objektiv betrachtend.
Es ist eine sehr tiefe und ebenso raumweiteKonzeption, mit der sichBenzens Ge-
wissen die deutsche Aufgabe der nächsten Zukunft darstellt. Jn einem dicken Zwei-
bänder setzt er auseinander, wie ihm heute nur noch eine kulturelle Tat der Deutschen
möglich, diese aber unerbittlich geboten erscheine: die von Kirche, Staat und Schule
eingeleitete und tätig geförderte Ausnutzung des Erbes unserer Bergangen-
h e i t. Als dies Erbe zeigen sich ihm: das Werk der deutschen Musik, daS in ihrer
ersten Stunde, der „Stunde des Gesanges", von Bach bis zu Schubert hin geschaffen
wurde; und jene deutsche Dichtung und Philosophie, die nach dieser Musik, in der
„Stunde des Wiederklanges" derselben, aus ihrem Geiste heraus geboren worden sind.
Das Gesamte dieses Werks, in dem sich, nach dem Heimgang des architektonischeir
Mittelalters, der schöpferische Genius der Deutschen gewissermaßen endgültig, voll-
endet und unübertreffbar ausgeschafsen habe, bildet nach Benzens These ein Ele-
mentarkulturgut der Deutschen, daö erst jetzt seiner Ausmünzung im deutschen Volk
entgegengehet; heutige deutsche Architektur und Malerei hätten, in gemeinsamer
schöpferischer Widmung, die Tempel zu bauen und zu schmücken, in die hinein der
Staat sein Dolk zu endlicher Jnbesitznahme und Genießung dieses Erbes zu führen
verpflichtet sei.
Die Quintessenz von Halfelds Buch ist: die Entblößung des amerikanischen Durch-
schnittsmenschen; als keines Menschen mit gei'stig-seelischem Selbst mehr; kei'nes Jn-
dividuums mit eigener Kulturaufgabe mehr; eines rein äußerlich-zivilisatorisch wir-
kenden Menschen zudem, dessen Anspruchsbefriedigung sich durchwegs nach dem
Anspruch des niedrigsten Bedürfnisniveaus zu richten hat; und dessen Triumph —
um den Preis grauenhafter Jnnenverarnumg — darin erreicht wird, daß, während
sein ganzes Rundum mechanisiert, standardi'siert, uniformiert, sem gesamter Welt-
inhalt auf einen Generalnenner gebracht und dieser zu einer buchhaltungsfähigen
Formel abstrahiert wird, zuletzt auch er selber zur bloßen suooess-Maschine de-
gradiert dasteht, diese Degradation aber — nicht einmal mehr empfindet. Kurz,
das Gespenst der Amerikanisierung wird von Halfeld zitiert; und erscheint diesmal in
schommgsloser Nacktheit; ohne jeden Schimmer jenes Nimbus, den ihm gerade
Deutsch-Amerikaner so gerne um die Rippen singen; als der grinsende Dämon des
ungeheuerlichsten Mißverständnisses, das ein großes Dolk sich dem Sinne deö
Menschenlebens gegenüber zuschulden kommen lasse, und, dem nachzubuhlen, einzig
noch jenem Europäer einfallen könne, der vom Grundpri'nzip europäischer Kultur:
der seelisch-geistigen Jndioi'dual-Berantwortung, keinen blauen Dunst mehr hat.
Prinz Karl Anton Rohan hat im Frühling dieses Jahres Moskau besucht, und
schildert nun in einem Skizzenbuch seine Eindrücke. Absicht dieser Reise: gegenständ-
liches Kennenlernenwollen; der Aufenthalt in Moskau von der Pflicht diktiert,
auch eine scheinbar rein negative Lebensverwirklichung unvoreingenommen respektvoll
aufzunehmen; das Buch selbst: Referat. Daß der Deutsche, der Fremdem, soferne es
positive Züge trägt, so leicht bis zur Begeisterung auf den Leim geht, nicht ReißauS
nehmen dürfe vor Fremdem, das sich ihm als bedenklich darstellt; daß es viel-
mehr gerade deutsche Pflicht sei, alles, auch das in unvertrautester Einkleidimg
Erscheinende als eine Offenbarung der Gottheit zu erfassen, das ist Rohans Grund-
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durch Thema unterelnander zusammen, diese drei Bücher. Drängen jedoch dem
aufmerksamen Leser ihre Synopsis dadurch auf, daß in allen dreien der Pflichtprozeß
des heutigen deutschen Menfchen geführt, und die Gefahren sowohl wie die Mög-
lichkeiten der gegenwärtigen Weltlage für jene Leutfche Zukunft bloßgelegt werden,
deren Eroberung eben dem Gewissenhaften vorfchwebt. Benz ist unter den dreien
der ausgesprochene Binnendeutsche; Halfeld der Auslanddeutsche; Rohan der heutige
österreichisch-deutsche Mensch. Benz geht konstruktiv vor; Halfeld negativ, warnend
und verhindernd; Rohan objektiv betrachtend.
Es ist eine sehr tiefe und ebenso raumweiteKonzeption, mit der sichBenzens Ge-
wissen die deutsche Aufgabe der nächsten Zukunft darstellt. Jn einem dicken Zwei-
bänder setzt er auseinander, wie ihm heute nur noch eine kulturelle Tat der Deutschen
möglich, diese aber unerbittlich geboten erscheine: die von Kirche, Staat und Schule
eingeleitete und tätig geförderte Ausnutzung des Erbes unserer Bergangen-
h e i t. Als dies Erbe zeigen sich ihm: das Werk der deutschen Musik, daS in ihrer
ersten Stunde, der „Stunde des Gesanges", von Bach bis zu Schubert hin geschaffen
wurde; und jene deutsche Dichtung und Philosophie, die nach dieser Musik, in der
„Stunde des Wiederklanges" derselben, aus ihrem Geiste heraus geboren worden sind.
Das Gesamte dieses Werks, in dem sich, nach dem Heimgang des architektonischeir
Mittelalters, der schöpferische Genius der Deutschen gewissermaßen endgültig, voll-
endet und unübertreffbar ausgeschafsen habe, bildet nach Benzens These ein Ele-
mentarkulturgut der Deutschen, daö erst jetzt seiner Ausmünzung im deutschen Volk
entgegengehet; heutige deutsche Architektur und Malerei hätten, in gemeinsamer
schöpferischer Widmung, die Tempel zu bauen und zu schmücken, in die hinein der
Staat sein Dolk zu endlicher Jnbesitznahme und Genießung dieses Erbes zu führen
verpflichtet sei.
Die Quintessenz von Halfelds Buch ist: die Entblößung des amerikanischen Durch-
schnittsmenschen; als keines Menschen mit gei'stig-seelischem Selbst mehr; kei'nes Jn-
dividuums mit eigener Kulturaufgabe mehr; eines rein äußerlich-zivilisatorisch wir-
kenden Menschen zudem, dessen Anspruchsbefriedigung sich durchwegs nach dem
Anspruch des niedrigsten Bedürfnisniveaus zu richten hat; und dessen Triumph —
um den Preis grauenhafter Jnnenverarnumg — darin erreicht wird, daß, während
sein ganzes Rundum mechanisiert, standardi'siert, uniformiert, sem gesamter Welt-
inhalt auf einen Generalnenner gebracht und dieser zu einer buchhaltungsfähigen
Formel abstrahiert wird, zuletzt auch er selber zur bloßen suooess-Maschine de-
gradiert dasteht, diese Degradation aber — nicht einmal mehr empfindet. Kurz,
das Gespenst der Amerikanisierung wird von Halfeld zitiert; und erscheint diesmal in
schommgsloser Nacktheit; ohne jeden Schimmer jenes Nimbus, den ihm gerade
Deutsch-Amerikaner so gerne um die Rippen singen; als der grinsende Dämon des
ungeheuerlichsten Mißverständnisses, das ein großes Dolk sich dem Sinne deö
Menschenlebens gegenüber zuschulden kommen lasse, und, dem nachzubuhlen, einzig
noch jenem Europäer einfallen könne, der vom Grundpri'nzip europäischer Kultur:
der seelisch-geistigen Jndioi'dual-Berantwortung, keinen blauen Dunst mehr hat.
Prinz Karl Anton Rohan hat im Frühling dieses Jahres Moskau besucht, und
schildert nun in einem Skizzenbuch seine Eindrücke. Absicht dieser Reise: gegenständ-
liches Kennenlernenwollen; der Aufenthalt in Moskau von der Pflicht diktiert,
auch eine scheinbar rein negative Lebensverwirklichung unvoreingenommen respektvoll
aufzunehmen; das Buch selbst: Referat. Daß der Deutsche, der Fremdem, soferne es
positive Züge trägt, so leicht bis zur Begeisterung auf den Leim geht, nicht ReißauS
nehmen dürfe vor Fremdem, das sich ihm als bedenklich darstellt; daß es viel-
mehr gerade deutsche Pflicht sei, alles, auch das in unvertrautester Einkleidimg
Erscheinende als eine Offenbarung der Gottheit zu erfassen, das ist Rohans Grund-
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