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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 3 (Dezemberheft 1927)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0217

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treffen und ergänzen sich die drei Bücher zn faft vollkommener Spiegelung der
hentigen dentfchen Hauptprobleme. Wie Benz ift anch Halfeld Jndividnalift; nicht
nur Erhaltung, sondern höchfte Aus-, Durch- und Hinanenttvicklung der individu-
alen gei'ftig-seelifchen Potenz predigt auch er; aber, tvährend Benz sie von der
Jnnenpflicht gegenüber dem noch ungenützten deutschen Kunft-Kulturgut und dessen
unerfchöpflichem und total-repräsentativem Gehalte her fordert, kommt Halfeld in
der Erfahrung des Jndividuum-Mvrdes, tvie er in Amerika hekatombal betrieben
tvird, zum Erfassen der Jndividualanfgabe deS deutfchen Menfchen. Benz flieht
vor der Unfruchtbarkeit des heutigen Jndividualismus, und ftellt das Jndividuum,
neu — aber mit Altem! — vollgeladen, in den Weihe- und Hmgabedienst einer neuen
deukfchen Gemeinde hinein; Halfeld hingegen rennt fchaudernd vor dem amerikani-
fchen Kollektivismus davon, und rettet sich, ohne dabei zunächft nach einem neuen
deutfchen Kollektivismus zu fragen, in die sssndivldualität der deutfchen Geift-Seelezurück.
Erft Rohan aber fchafft die Korrektur dieser ztvei Wege, deren keiner zu ganzer
Lösung kommt. Der Benzfche Kollektivismus ift im Grunde Verkennung der Mei;-
fchennatur; einerseits unterbindet er natürliche Wesensausflüsse, anderseits tvill er
solche höchften Grades durch andere niedrigeren Erades ersetzen. Zudem teilt er
fchematifch Dergangenheit von Zukunft. So tvird er denn rettungsloS rationale
Konftruktion; nicht organifch aus dem Jnnengefchehen der Jndividuen heraus ge-
boren, sondern diesen kommandiert. Der amerikanifche Kollektivismus hingegen ift
ebenso von auSgelöfchten, zertretenen Jndividuen getragen wie der bolfchewiftifche;
daß, und wie furchtbar dem so ift, zeigt Halfeld mit großem Berdienfte. Ein Leben
aber, daS entweder das Jndividuum auf Koften des Kollektivums aufrichtet, oder
das Umgekehrte vollbringt, kann nicht morgiges Leben sein. Dieses findet ja das aus-
gebildete Jndividuum bereits vor; und zwar als das Ergebnis eines natürlichen
Reifeprozesses; was so viel heißt, als daß naturwidrig vorgegangen würde, wenn
man dieö Jndividuum gewaltsam in einen primitiven Vorzuftand zurückverftümmelte.
Gleichzeitig aber findet die heutige Geifteüverfassung in diesem Jndividuum auch den
Drang nach Selbfthingabe an ein kollektiviftifches Ziel vor. So kann also das Pro-
blem, wie es sich hente ftellt, einzig von einem Kollektivismus der Jndividnen gelöft
werden. Und dieses nun hat Rohan in Moskau erfaßt! Rohan, der nicht Jndivi-
dualift ift, erfaßte in Moskau, daß der bolfchewiftifche Kollektivismus sich vom
amerikanifchen dadurch unterfcheidet, daß er in einem Glauben wurzelt; einer
organifch, naturhaft, durch die Menfchen hindurch wirkenden metaphysifchen Gewalt;
freilich, in einem fcheinbar „verkehrten" Glauben: dem Glanben an die Allheilkraft
juft des rationalften Marrfchen Materialismus. Weil nun aber in der Tat Glaube
die Wurzel des bolfchewiftifchen Kollektivi'Smus ift, und weil es gegenüber dicser
Tatsache nichts Wesentliches bedeutet, daß die Gewalt dieseS Glaubens sich, um durch
die Bolfchewiften hindurchftrömen zu können, eines Glaubens i n h a l t S bedient, der
uns nichts mehr bedeutet, den Russen von heute aber der augenblicklich gegebene,
daher mögliche sein mag, — deöhalb hält Rohan den bolfchewiftifchen Kollektivismus
für an sich auf dem richtigen, den amerikanifchen hingegen für an sich auf dem
falfchen Wege.

Die kritifche Nutzanwendung auS dieser Erfassung Rohans gegenüber den zwei an-
deren Büchern ergibt sich von selber: anch für unsere Zuknnft kann nur ein solcher
Kollektivismus in Frage kommen, der die Einzelnen von der Gewalt religiösen
Glaubens her zusammenfchließt; alle andere Gewalt — und sei sie noch so
irrational und bindefähi'g — ift nicht imftande, die Glieder organifch kultur-
schöpferisch zu machen. DeS weiteren: kein zukünftiger Kollektivismus wird
lebensfähig sein, der, bei aller kategorifcheften Einfügung der Einzelnen in sein Ge-
samtes, diese Einzelnen nicht als voll auögereifte heutige Jndivi'duen verwendet. Da-
mit sind der russifche KollektiviSmuS als unindividualer, der amerikanifche als un-

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