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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

DOI Heft:
Heft 4 (Januarheft 1928)
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Das weltlose Drama
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0272

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— und dabei rede ich vom durchschnilklichcn Zuschauer, nichl von einer Elite —
wir sehen in diesem ewigen Zlchselzucken, in diesem Herumdunkeln zwischen
Meldeuligkeiken vor allem das Versagen des Geistes, der die Lebensbindung
fliehk. Moralisch und invekkiv gcwendek: die Furchk vor der Verankworkung,
die Lebensfcigheik, die unziemlich ausgedehnke Puberkäk, den unbelchrbaren Di-
lekkankismus. Ilnd wir beginnen endlich zu begreifen, daß im ruhig-bestäkigen-
den „Anfchauen kankigen Bergkrifkalls", zwei Llkemzüge lang durchgeführk, eine
unendlich höhere geistige Leistung steckt als in stundenlangen Kaskadcn ironi-
schen Gelächkers.

Unsere Welk müßke, indem sie dies feststellk, alsbald mik den IDorken von Bv-
rons Manfred hinzufügen:

llnd dennoch leb' ich und kragc Menschenform und Menschenanklitz!
Denn das ist in der Tak der große Einwand: trotz der WelklosigkeikdieserDichkung
dauern Wclk und Leben doch fork. Es gibk dieses Leben, diese Wirklichkeit, die
das Drama nichk mehr kennt. Max Picard meinke zwar vor Zahren: Nein,
Menfchenform und Menfchenanklitz sind von der Erde verschwunden. llnd
andere sagen: 2luch die Nakur ist unwiederbringlich dahin. Aber das kann
doch ersichklich nur in dem Sinne gelken, daß eine gewisse moderne Subjekti-
vikäk die Welk nichk mehr oder noch nichk zu fassen weiß — was im übrigen
die Sonnc nichk hinderk, jeden Tag aufzugehen, und was noch weniger hinderk,
daß ein Menfch, in dem der Geist sich zum wahren Welkerblicken ermannk,
sich alsbald in die dichkeste und dauerhafkeste Realikäk versetzk findet. Die
WirklichkeiL ist vorhanden; und der Geist, sofern er Einsichk ist, hat sie längst
Wahrgenommen und lebk in ihr. Nur sofern der Geist Kunst ist, wagk er
ni'chk, sie anzuerkennen, weshalb denn auch die Kunst an den Nand des Lebens
gerückk und zur Nrbensache geworden ist.

Ist es wirklich so, ihr jungen Dichker, daß euch nach so viel gehegker und aus-
gespielker Zugend das Heldenlied des Lebens immer noch nichk in die inneren
Sinne fällk? Was muß denn noch geschehen, damiL der leere Abgrund jensciks
eures Ich sich mik Wirklichkeik erfüllk? Es läßk sich verstehen, daß der Welt-
krieg, gerade weil sein Geschehen alles Begreifen überwuchs, die Menfchheik
nur noch mchr in hitzige und trotzige Subjekkivikäk gescheuchk hak. Aber gerade
dadurch seid ihr doch an den günstigen Punkt gesetzk, wo ihr zu Zuschauern und
Mikwirkcnden eines aufsteigenden Lebens werdek. Wenn cs wahr ist,
daß die griechische Kunst (und vorab auch das Drama) als hcldcnhafke, kriege-
rische Leistung, als Verkcidigung des Lebens gegen dunkle Ursprungsmächke zu
verstehen ist, dann enkhälk doch gcrade die Sikuation nach diesem Kriege Auf-
forderungen genug, eine Kunstform heroifchcn Sinnes zu erbauen; eine Kunst-
form mindestens, in der sich dcr Geist zu einem Bundesgenossen des Lebens
machk. Rings um die Bezirke der Kuust her vollziehk sich denn auch, deuklich
sichkbar, ein Prozeß der Konsolidicrung. In der Philosophie, in den Wissen
schafken, in Neligion und Polikik ist eine Berdichkung der Wclt zu beobachken;
überall kreken die rebellischen Tendenzen vor den stifkenden und walkendcn
Kräfken, die auf ein wahres Verhälknis zu einem Lebensganzen gehen, in deu
Hinkergrund. Gerade die Polikik bieket cin überraschend wahres Abbild der
geisiigen Berschicbung, die sich unker uns vollzieht: die bloße Opposikion ist
keine mögliche Halkung mehr, es gilk, i'n die Verankworkung für das Ganze ein-

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