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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1928)
DOI Artikel:
Michel, Wilhelm: Erfolg und Sturz
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0414

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eigencn Riesenschritt weiterzugehen, begehL sie eine „Tücke" nur gegen das
Illusionäre im Menschen; in WirklichkeiL stellk sie ihn gerade da vor seine
Wahrheik, der er wahnhask entronncn war. Sie Lut ihm den größten Diensh
den sie ihm jeHL noch erweisen kann; in der W irklichkeik des Sturzes
geschieht mit ihm etwas, das alsWahrheik in ihm häkkebegrissen und gelebk
werden sollen. Jndem die ZeiL demMenschen„untreu" wird, slellk sich alleWahr-
heik der Welk, alle ZuverlässigkeiL der GeseHe, alle Qrdnung wieder her.
llnd so kommcn wir nun zu der folgenden EnLgegenseHung. Jm Erfolg, sagten
wir, geht der Mensch siändig von sich fork; er verleugnet sich selbst; er ver-
hält sich elementar; er bekennt sich nicht ;u seinem lleamcn. Er bewegt sich un-
erkannL in der gefährlichen, ja Lödlichen Sphäre des rastlosen Werdens, er ver-
birgt seine Beziehung zur Welk des Scins. Der Tod muß den geschichtlichen
Menschen treffen in jedem Augenblick, wo er sich mik sich selber idenLifiziert,
d. h. wo er sich zu seinem Sein bekennk. Er cnLwischk den Erinnyen,
dcn HüLcrinnen der WelLwirklichkeiL, hundertmal, indem er ihnen, wie ein
Fliehender den ManLel, einen Teil >eines Zchs überläßk; einen Plan, einen
Gedanken, eine Methode, ja eine Leure Überzeugung oder gar die llnschuld seines
Herzens und seinc sittliche FreiheiL.

Äber im Sturz bekennL er sich zu sich selbst. Er weicht nichk mehr aus, er
zieht sich nicht mehr zurück, er will nichk mehr verschwinden. Er ankwortet
auf den Ruf seines Nnmens endlich mit „Hier". Er läßk alle Masken fallen
und tri'LL frei i'n die Bahn des Bli'Hes. Der Augenblick des Skurzes iß, von
hier gesehen, oft der größke MomenL eines Lebens. Denn er ist dcr Augen-
blick der größten Selbstbehaupkung; der Augenblick, wo der
Mensch alle Winkelzüge verschmäht und endlich zugibk, daß er „nichk anders
kann". Das WorL des Erfolgreichen ist, daß ihm endlos neue Möglichkeiten
zu GeboLe stehen und daß er unerschöpflich sei wie die Nakur. Das WorL des
Stürzenden ist, daß er GeseH und Bindung, BerboLe und Grenzen habe. llnd
dicses, nicht das andere, iß das eigentliche, das leHLhin stichhalkige M enschen -
w o rL. Der Erfolgreiche ziehk aus ins weite Feld des elemenkaren Lebens und
versucht, wic weit ihm sein geschöpflicher AnLeil hilfk, mit dem Gang der
NaLnrkräfte als unerkannter ParLner gleichen SchriLL und TakL zu halten.
Zm Sturz kehrL er an den eigenklichen OrL des Menschen zurück.

Der Augenblick des Skurzes ist somik der Augenblick, in dem Mensch und
ElemenL sich scheiden. Die unzulässige Verbindung löst sich aus, das Ele-
menL ninnnL seine alke Freiheik zurück und jubelt auf den ihm zugehörigen
Wcgen dahin, während der Mensch seine BegrenzLheik erblickk und gerade in
ihr sein Wesen wiederfindet.

Zn dieser Wcise hat den Angenblick des Sturzes auch die griechifche Tragödie
begriffen. Die Ausführungen, die wir hier gaben, haben an sie nicht gedachk;
aber der Einklang ergibt sich von selbst. Zch will ihn verdeutlichen, indem ich
einige SäHe Hölderlins (aus den Anmerkungen zu den SophoklesüberLra
gungen) hier hereinnehme. „Die Darstellung des Tragischen", sagt er, „beruht
vorzüglich darauf, daß das Ilngeheure, wie der GoLL (als Nakurmachk, bes.
als Zeit. Anm. d. Verf.) und Mensch sjch paark und grenzenlos die Natur-
machk und des Menschen Znnerstes im Zorn eins wird, dadurch sich begreift,
daß das grenzenlosc Eineswerden durch grenzenloses Scheiden sich reinigk."
 
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