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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 6 (Märzheft 1928)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0454

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Als er gegangen war, frel der Gedanke an ihn und die HeiraL ihr sogleich aus
dcm Sinn, und so lebte sie sommerlang bis in den Herbst zwischen ihren
Beeken und Büschen, bis daß an einem Frühmorgen der Neuschnee von den
nahen Gipfeln aus ihre Llstern und roLen Eschensrüchke niedersah. Da ward
ihr Herz von einem feinen Stich durchbohrk.

Das Hausgesind begann die Hochzeit zu rüsten. Sie ließ geschehen, daß
man besserke und erneute, wie der künftige HauswirL guL befand, sie ließ sich
Seidengewand anproben und lächelte in sremde Gesichter, wenn der An-
vcrlobte ihr Geschwister und Verschwägerte zuführte. 2lls läse sie in einem
fernen Begebnis, so war ihr.

Der Morgen ihrcr Hochzeit kam. Ihrem Garten hatte man die leHken Blumen
entrissen, Kränze zu winden und Sträuße auf den Tischen zwischen Wein
und Kuchen aufzustellen. Die alte Magd hob ihr die Brautkrone ins Haar.
Ihre Schwester, die Nonnc, hatte sie mit eignen blassen Fingern aus Gold-
drahk und Perlen geflochten. Sinn und Liebe flüsterte hervor. Sie saß, die
Händc im Seidenschoß verschränkk, vor ihrem kleinen Mädchenspicgel und ließ
mit sich gcwähren.

So harrte sie geschmückt und starr, bis die Glocken zum ersten Geläut an-
huben. Bcim zweiten mußte der Bräukigam über die Schwelle Lreten, nnd
bcim dritten verließ der Hochzeitszug das Haus, und es würde schwingen, bis
sie vor dem Altare stünde.

Die Glocken sangen weitcr. Ihre Stimmen flogen über die Giebel der Stadk
zu ihr.

In ihrer Bangnis stand sie leise auf, schlich über Gänge und Treppen hin-
unter, ihr Kleid knisterte, die Braukschuhe knarrten, ihr Herz sticß laut —
aber keiner hatte ihrer acht, alles rannte in Hast und Geschäftigkeit hin und
wi'der. Im Garken schritt zwischen den buchsbaumgerandeken Beeten sie tief
atmend. Hier dachte sie bis zum zweiten Läuken zu verbleiben. Bei dem
freundlichen grünen Wesen schmolz ihr Herzweh; so mochte sie Trost genießen,
bis der Bräutigam über die Schwelle Lräte, sie zu holen.

So stark wchte dcr Duft von Gewächs und Erde, daß es ihr den 2ltem be-
nahm, sie ging eiliger bis in die Tiefe des Gartens. Das Geläut war ver-
stummt. Sie stand still. Da hinter ihr ächzte in den 2lngeln die Tür znm
I^achbargarten, sie blickte um, da ersah sie einen, der Lrat hervor, grüßte sie
vertraut und blieb ihr zur Seite. Ihr war, so müßke es geschehn, auf ebcn
diesen habe sie geharrt, willig ließ sie sich leiken und folgke dem Gesellen in
die Wirrnis des nachbarlichen Gartens.

Geläut und Hochzeit entschwanden ihrem Sinn. In ihr Herz fiel die Rede
des Fremden wie Blumenblätter in den Bach.

Immer weicher betrat sich der vergraste Weg zu ihren Füßen, unendlich
verschlungen, Ruch von sonnbeschienenem Kraut schuf Herbst zum Mai, silber-
stlmmig redete ein Brunnen von fern — oder war es die Skimme des, der
sie führte?

In dcm Nvnnenkloster selber Skadk geschah zu Ende des achtzehnten Iahr-
hunderts, daß die meeralte Äbtissin in drei aufeinander folgenden Herbstnächken
vom gleichcn Traum heimgesucht wurde. Die letzke Stunde vor Morgen hörte
sie an ihre Zellentür pochen, so deutlich klar, daß sie sich wach vermeinte.

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