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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 6 (Märzheft 1928)
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Tribüne
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0456

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Arbeit hintenan stehen, ihre Sendung nicht vallbringen können. Wenn der heutige
Lenker der preußischen Kulturverroaltung jüngst in der Wissenschaft fur das Recht
der schöpferischen und eben deshalb eigentvilligen Einzelnen eingetreten ist, so kann
der Hilfe, die der Geist in allen seinen Ämtern vvm Staat erhofft, gar keine bessere
Ni'chttveisung gewünscht werden als diese von Becker gegebene, die der Losung folgt:
Persönlichkeit, nicht Durchfchnitt, Einzelner, nicht Zunft noch Reglement.

Aber alles Schaffen der Forscher, der Bildner ist auch auf die Empfangenden an-
gewiesen. Und wo deren Bedürfm's gestillt und gelenkt werden soll, handelt es sich
um ein ordnerisches, ein organisierendes Eingreifen, für das dem Staat seiner gaw
zen Befchaffenheit nach die Werkzeuge viel besser zur Hand liegen.

Daß die dentsche Wissenschaft heut noch immer in einer Notlage ist, läßt am besten
die Tatsache erkennen, daß die Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft noch immer
notwendig ist, ja daß ihre Tätigkeit beständig wächst und im Wachsen begriffen
sein muß. Sie greift ihre Aufgabe von der Seite der Produktion, der forscherlichen
Arbeit, der Herstellung und HerauSgabe des wissenschaftlichen Buches an. Aber es
gibt noch eine andere Seite an diesem geistigen Geschehen, auf die auch sehr viel an-
kommt: die Nutzbarmachung der forscherlichen Arbeit für d!e Empfavgenden nnd
Empfänglichen, die Derbreitung des Buches. Und hier möchte es recht eigentlich
Sache und Sendung des Staates sein, Hand anzulegen.

Jn Hinsicht auf den Buchhandel hat sich in Deutschland seit dem Kriege eine Um°
wälzung vollzogen, deren Tragweite, ja deren Dasein selbst der Offentlichkeit kaum be-
kannt ist und die doch für das geistige Leben unseres BolkeS schwere Gefahren in
sich birgt. Der Bücherabsatz hat in diesen Jahren ganz außerordentlich schwere Ein-
bußen erlitten: der Verkauf der Dücher, vornehmlich der wissenfchaftlichen, ist in
einem Ntaße zurückgegangen, für das es in allen Dorkriegszeiten kein Seitenstück,
weder an Umfang, noch an Nachhaltigkeit gibt.

Was bewirkt dies? Unzweifelhaft einen Rückgang der sich in Taten ausdrückenden
Anteilnahme an den Werken deö Geistes, der Wissenschaft, also etwas an sich höchst
Schmerzliches. Was aber bedeutet es? Das ist nur zu erkennen, wenn die Ursachen
bloßgelegt werden.

Kulturpessimisten, an denen gerade unter den ernstesten und zuständigsten Beobach-
tern unseres Lebens wahrlich kein Mangel ist, werden erklären: die Gunst und Ge-
sinnung unserer Gebildeten und vornehmlich der Jugend hat sich vom Geist fort, dem
Körper und Sport zugewandt.

DaS darf gewiß nicht völlig in Abrede gestellt, noch weniger aber als die den Aus-
schlag gebende Grunderscheinung anerkannt werden. Die Hörsäle unserer hohen
Schulen sind nach wie vor gefüllt von strebender Jugend, und wir, die Lehrenden er-
leben jetzt, als die erste und schönste Folge eineS wachsenden lebensmäßigen Sozia-
lismuö, daß auch die Söhne unserer höchsten Arbeiter und der untersten Ange-
stellten- und Bcamtenschichten sich zu unseren Lehrstühlen drängen, während noch viel
mehr Lernbegierige den Zugang leider heute noch vergeblich erstreben.

Bon vielen Erwerbenden und insbesondere von den schnell zu Reichtum und Wohl-
stand Gekommenen mag zugegeben werden, daß sie, wie dem Geist überhaupt, so dem
Buch in stumpfer Gleichgültigkeit gegenüber stehen. Aber daß es Tausende und
Zehntausende williger Leser gibt, denen ein Buch ein Freund und ein köstlicher Be-
sitz ist, das ist ebenso gewiß. Nur, und das ist die traurige Lösung der Frage: die
Willigen können nicht Käufer sein, die Besitzenden aber wollen es zu öftcst nicht sein.
Unser Staat und unsere Bolkswirtschaft haben in einem nicht eben edlen Bund
durch das Seeräubermanöver der Entwertung der alten Mark vorzüglich unseren
halbwegs besitzenden und zumeist voll gebildeten höheren Mittelstand um das
Seinige gebracht — eine Maßnahme, deren Rechtmäßigkeit und Sittlichkeit gar
nicht und deren Staatsklugheit wenigstens unr zum kleinsten Teil erwiesen werden
 
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