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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 6 (Märzheft 1928)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0460

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Will man sehen, wc> Buber heule steht,
tvaö ihm an Emsicht, an Selbstverein-
fachung und ganz junger Reli'giosität
gelang, so muß man sein Geleitwort
zu diesen „Chassidischen Büchern" lesen.
Buber hat dem chassidischen Ereignis
nie alö Forscher gegenübergestanden,
sondern als ein Mensch, dem sich, über-
raschend, erschreckend und herrlich, ein
Gesicht aus der Dergangenheit zukehrte;
ein Gesicht, das er erkaunte von innen
her und von dem er sich erkannt fühlte;
und dann begann er mit dieser Gestalt
zu sprechen. Bubers Begegnung mit dem
ChassidiSmuS fiel richtig und gerecht in
seinen eigenen Lebensweg und half ihm
der Mensch werden, der er heute ist. Zu-
gleich aber hat Bubers Begegnung mit
dem Baalschem auch eine weitertragende
Bedeutung, eine Bedeutung in den gei-
stigen Zusammenhängen des deutschen
und europäischen DenkenS am Beginn
dieseS Jahrhunderts. Davon habe ich in
der Schrift „Martin Bubers Gang in
die Wirklichkeit" (Nütten L- Loem'ng,
Frankfurt a. M.) einiges gesagt. Wir
hatten, in religiösen Dingen matt und
leer geworden, einen neuen Anfang,
einen neuen Weg zu einem echten Le-
ben nötig. Die Begegnung mit dem
Baalschem gereichte nicht nur Buber, son-
dern durch ihn einer großen Schar von
Menschen zur Verjüngung und Erfri-
schung, zum unmittelbaren Herantritt an
die Quellen. Scheint auch die Welt,
d. h. der Menschengeist in unserem Kul-
turkreis, heute völlig anders zu laufen,
als irgendeine Art von Frömmigkeit
es wünschen kann, so bleibt doch gewiß,
daß diesem Weltlauf das neue Erwa-
chen eines echten Lebens in der Tiese
zugeordnet und rechtmäßig beigesellt ist,
nach einem Plan, den wir nicht kennen
und der eben deshalb wohl der rechte
sein wird.

Jn jenem Geleitwort zu den „Chassidi-
schen Büchern" gibt Buber seine Theolo-
gie, d. h. er spricht knapp und köstlich
unmittelbar von der Wirklichkeit des
Menschen, indem er den geistesgeschicht-
lichen Ort deS Chassidismus bestimmt
und dann von jüdischer Gotteserkennt-
nis überhaupt spricht. Es ist eine Theo-
logie, die mitten in der Welt wvhnt,
spannungslos und selbstverständlich, als
in dem einzigen, ihr zukommenden Haus.
Wir können im Vorübergehen bemev-
ken, daß diese Theologie, wie es Schicksal

des Judentums ist, ablehnend zu JesuS
steht, insofern sie ihn wohl als den Rein-
sten und Rechtmäßigsten unter den gro-
ßen „Berletzern des Messiasgeheimnis-
ses" gelten läßt, aber ihn eben dadurch
in eine Reihe einstellt, in die er am aller-
wenigsten gehört. Wäre jedes Jrren eine
Widerlegung eines Menschen, so könnte
der Christ an diesem Punkte dag Buch
zumachen. Aber die Wahrheit ist größer
als alles Haben oder Nicht-Haben der
Wahrheit, sie ist von anderem Geschlecht
als der Buchstabe und das Meinen, sie
ist von so fremder und königlicher Art,
daß sie im Jrren oft lieber und wärmer
wohnt als in der platten Rechtlebigkeit
derer, in denen sich m'e etwas Gefähr-
liches oder Kernhaftes ereignet hat. Auch
Juden werden gegen Bubers Meinen
und Prägen vieles, vielleicht ebenso Ern-
stes einzuwenden haben wie wir. Und
doch werden sie gleich uns genötigt sein,
aufzumerken, wenn er spricht. Und wenn
wir selbst eS nicht tun, so werden es un-
sere Seelen tun, weil sie allem echten
Leben verwandt sind. Sie werden den
Worten, die dieser Mann redet, geheim
zustreben, nicht um zu meinen, was er
meint, sondern um das Herz zu hören,
das in seinem Sprechen schlägt.

Dieses Herz ist eö auch, was in den
chassidischen Legendcn und Geschichten als
das Lebendige und das Kernhafte wohnt.
Sind wir denn heute in einer anderen
Lage als Rabbi Mosche Leib von Sas-
sow, der sich sogar einmal von einem
Dieb belehren ließ? Jch will damit auf
das Belebende an sich deuten, und
zwar an einem Beispiel, in dem es sich
scharf, fast skandalös von der sittlichen
Materie des Ereignisses abhebt. Buber
erzählt:

Der Sassower reiste einmal im Land
umher, um Geld zum Frcikauf Schuld-
gefangener zu sammeln, aber es gelang
ihm nicht, den nötigen Betrag zu erhal-
tcn. Da reute es ihn, so viel Zeit der
Lehre und dem Gebet umsonst entzogen
zu haben, und er nahm sich vor, fortan
zu Hause zu bleiben. Am selben Tag er-
fuhr er, daß ein Jude, der ein Kleid ge-
stohlen hatte, bei der Tat betroffen und
nach reichlicher Prügelstrafe in Gewahr-
sam genommen worden war. Er ver-
wandte sich beim Richter für den Ein-
gekerkerten und erreichte dessen Freilas-
sung. AIs er ihn aus dem Gefängnis
holte, ermahnte ihn der Zaddik: „Denk

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