„nicht so" zu sein. Bemerkt denn nie-
mand, daß hier mit Not und Elend
des Körpers mie der Seele, und vor
allem der Seele, Unsug getrieben
loird! daß die dunkelste Welt, die gerade
des ErnsteS, deS Mitleids und der Ehr-
furcht bedarf, zu einer Witzblattsparte
und zu einer Faschingstype gelvorden
ist! Wollen wir lvirklich diese verdammte
Großstadt-Snoberei auch mitmachen und
als Smokingpharisäer uns als „Zille-
modell" kostümieren! Protestiert denn
niemand, tvenn die Maske des schwange-
ren Mädchens mit dem Motto: „Der
Vater fur det Kind wird gesucht" unter
Hallo prämiiert wirdü! So weit also
sind wir doch: Das Elend ist Schind-
luder, der Proletarier ist eine komische
Figur, und die ärmste Armut menschli-
chen Wescns ist eine FaschingSnummer!!!
Also das ist Proletkunst? Das ist Zilles
Ruhm? — Jch habe ein Werbeblatt
vor mir liegen für den „Hofball bei
Zille". Die Nückseite ist wie ein Skizzen-
blakt überdeckt von den verfchiedeusten
Zilletypen. Selbstverständlich ist allcs
vorhanden, was der „Kenner" verlangt:
öer dicke Popo, der Hängebusen, der pis-
sende Knabe, das pissende Mädchen, das
hochgehobene Hcmd, das Mädelchen im
Badeanzug, die arme Schwangere, der
Betrunkene, der Spießer, alles da! Mit-
leid? Liebe? Ehrfurcht? Ernst? Wozu!
Wir sind ja im Zillefasching! Die Acker-
straße wird zum Karneval! Berlin wird
ein Kehraus! Karken zu Mk. 10! Hul-
digung vor der Loge des „Ur-Berlinerö".
Er ist 70 Jahre und kann über scine
„echten Zille-Girls" Heerschau halten!
— Dazu kondolieren wir herzlich. Armes
Berlin! „Nachbarin! Euer s?läsch-
chen!..."
Die L a n d k a r t e n m 0 d e
C^rüher hingen bei italienischen Sti-
O^chen auch Landkarten in dem stillen
Studierzimmer, und man lächelte über
den guten Großpapa, der noch sehen
wollte, wo er gereist war und wo hin-
ten weit in der Türkei die Völker auf-
ei'nanderschlugen. Der Großpapa kam
m seinen Sarg, und seine Landkarten
kamen auf den Speicher, ,'n die Mappe,
fort. Mode heißt aber auf deutsch:
Wiederkehr. Nun suchen praktische Hände
überall nach den alten Landkarten. Größe
— egal, Preis — egal, Land — egal.
Warum? Leben Sie am Nordpol? Das
ist doch die neue Landkartenmode! Die
alten, bunten, rührenden Landkarten?
Eben die! Paris regiert die Stunde.
Rettet eure heiligsten Güter! Der Lam-
penschirm, der Papierkorb, die Schreib-
mappe, der Ofenschirm, die Wand —
nein, das ganze Zimmer von oben bis
unten, sind Landkarten, sauber gefaßt
und lackiert. Landkarten gesucht! Der
Snob liebt das Großväterliche. — Wis-
sen Sie, das ist alles so nett primitiv
wie die alten Schiffsmodelle, die alten
Noten, die alten Stiche, die alte Moral.
— Die Welt als Landkarte, grün, rosa,
blau, gelb, ein schickes Tapetenmuster!
Paris arbeitet fieberhaft. New 2)ork,
London, Berlin sind begeistert. Haben
Sie schon_? Die Antiquare suchen.
Die Bücher und Mappen werden ge-
plündert. Der liebe Großpapa! Stellt
das Telephon in seinen Likörkasten!
Ekelhaft, diese Maschine! Gottlob sind
die elektrischen Birnen nicht zu sehen!
Holt die Katze, den Kanarienvogel, den
Goldfisch, stellt das elektrische Grammo-
phon ,'ns Dunkel! Kauft das älteste
Automobil, den alten Victoria! Lang-
sam, langsam! Schnell ift unfein. Die
Stilkleider her! Unö den blauen Frack
des Prinzen von Wales! Nur keine Jn-
dustrie! (WenigstenS nur auf der Bank.)
Das Alter ist vornehm: Der Kutscher
ist 70 Jahre alt, der Diener 60, die
Zofe 100. Alles wei'ßhaarig. (Man
kann ja nachhelfen.) Was wird die Sai-
son bringen? Sollte man nicht alte Zei-
tungen sammeln oder Klosettpapier...?
Lasset die Kindlein zu sich kommen!
Valentinos Büste in einer
Kirche
er Filmschauspieler in Ehren: der
anstrengendste, kurzlebigste Beruf ist
der seine! Man beneide ihn nicht! Er hat
wie der Flieger, der Boxer, der Renn-
fahrer und andere Weltberufe heute
einen neuen Glanz. Er hat die Helden-
rolle übernommen, die einst der Dichter,
der Heldenschauspieler, der Tenor hatte:
„Liebling des Dolks zu sein." Man be-
neide ihn nicht! Zumal wenn er ei'n so-
genannter schöner Mann ist. Schön sein
muß anstrengender sein als klug, schreck-
licher noch als reich und berühmt. Valen-
tino hatte das Unglück dieses Glücks.
Sein tragisch frühes Ende bewahrte ihn
vor dem Glück, kein Glück mehr zu ha-
ben. Friede seiner Asche! Man hat ihn
mand, daß hier mit Not und Elend
des Körpers mie der Seele, und vor
allem der Seele, Unsug getrieben
loird! daß die dunkelste Welt, die gerade
des ErnsteS, deS Mitleids und der Ehr-
furcht bedarf, zu einer Witzblattsparte
und zu einer Faschingstype gelvorden
ist! Wollen wir lvirklich diese verdammte
Großstadt-Snoberei auch mitmachen und
als Smokingpharisäer uns als „Zille-
modell" kostümieren! Protestiert denn
niemand, tvenn die Maske des schwange-
ren Mädchens mit dem Motto: „Der
Vater fur det Kind wird gesucht" unter
Hallo prämiiert wirdü! So weit also
sind wir doch: Das Elend ist Schind-
luder, der Proletarier ist eine komische
Figur, und die ärmste Armut menschli-
chen Wescns ist eine FaschingSnummer!!!
Also das ist Proletkunst? Das ist Zilles
Ruhm? — Jch habe ein Werbeblatt
vor mir liegen für den „Hofball bei
Zille". Die Nückseite ist wie ein Skizzen-
blakt überdeckt von den verfchiedeusten
Zilletypen. Selbstverständlich ist allcs
vorhanden, was der „Kenner" verlangt:
öer dicke Popo, der Hängebusen, der pis-
sende Knabe, das pissende Mädchen, das
hochgehobene Hcmd, das Mädelchen im
Badeanzug, die arme Schwangere, der
Betrunkene, der Spießer, alles da! Mit-
leid? Liebe? Ehrfurcht? Ernst? Wozu!
Wir sind ja im Zillefasching! Die Acker-
straße wird zum Karneval! Berlin wird
ein Kehraus! Karken zu Mk. 10! Hul-
digung vor der Loge des „Ur-Berlinerö".
Er ist 70 Jahre und kann über scine
„echten Zille-Girls" Heerschau halten!
— Dazu kondolieren wir herzlich. Armes
Berlin! „Nachbarin! Euer s?läsch-
chen!..."
Die L a n d k a r t e n m 0 d e
C^rüher hingen bei italienischen Sti-
O^chen auch Landkarten in dem stillen
Studierzimmer, und man lächelte über
den guten Großpapa, der noch sehen
wollte, wo er gereist war und wo hin-
ten weit in der Türkei die Völker auf-
ei'nanderschlugen. Der Großpapa kam
m seinen Sarg, und seine Landkarten
kamen auf den Speicher, ,'n die Mappe,
fort. Mode heißt aber auf deutsch:
Wiederkehr. Nun suchen praktische Hände
überall nach den alten Landkarten. Größe
— egal, Preis — egal, Land — egal.
Warum? Leben Sie am Nordpol? Das
ist doch die neue Landkartenmode! Die
alten, bunten, rührenden Landkarten?
Eben die! Paris regiert die Stunde.
Rettet eure heiligsten Güter! Der Lam-
penschirm, der Papierkorb, die Schreib-
mappe, der Ofenschirm, die Wand —
nein, das ganze Zimmer von oben bis
unten, sind Landkarten, sauber gefaßt
und lackiert. Landkarten gesucht! Der
Snob liebt das Großväterliche. — Wis-
sen Sie, das ist alles so nett primitiv
wie die alten Schiffsmodelle, die alten
Noten, die alten Stiche, die alte Moral.
— Die Welt als Landkarte, grün, rosa,
blau, gelb, ein schickes Tapetenmuster!
Paris arbeitet fieberhaft. New 2)ork,
London, Berlin sind begeistert. Haben
Sie schon_? Die Antiquare suchen.
Die Bücher und Mappen werden ge-
plündert. Der liebe Großpapa! Stellt
das Telephon in seinen Likörkasten!
Ekelhaft, diese Maschine! Gottlob sind
die elektrischen Birnen nicht zu sehen!
Holt die Katze, den Kanarienvogel, den
Goldfisch, stellt das elektrische Grammo-
phon ,'ns Dunkel! Kauft das älteste
Automobil, den alten Victoria! Lang-
sam, langsam! Schnell ift unfein. Die
Stilkleider her! Unö den blauen Frack
des Prinzen von Wales! Nur keine Jn-
dustrie! (WenigstenS nur auf der Bank.)
Das Alter ist vornehm: Der Kutscher
ist 70 Jahre alt, der Diener 60, die
Zofe 100. Alles wei'ßhaarig. (Man
kann ja nachhelfen.) Was wird die Sai-
son bringen? Sollte man nicht alte Zei-
tungen sammeln oder Klosettpapier...?
Lasset die Kindlein zu sich kommen!
Valentinos Büste in einer
Kirche
er Filmschauspieler in Ehren: der
anstrengendste, kurzlebigste Beruf ist
der seine! Man beneide ihn nicht! Er hat
wie der Flieger, der Boxer, der Renn-
fahrer und andere Weltberufe heute
einen neuen Glanz. Er hat die Helden-
rolle übernommen, die einst der Dichter,
der Heldenschauspieler, der Tenor hatte:
„Liebling des Dolks zu sein." Man be-
neide ihn nicht! Zumal wenn er ei'n so-
genannter schöner Mann ist. Schön sein
muß anstrengender sein als klug, schreck-
licher noch als reich und berühmt. Valen-
tino hatte das Unglück dieses Glücks.
Sein tragisch frühes Ende bewahrte ihn
vor dem Glück, kein Glück mehr zu ha-
ben. Friede seiner Asche! Man hat ihn