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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

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Heft 6 (Märzheft 1928)
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Bücherschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0476

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machen konnte, war Heinrich Marr, des-
sen bnntem Zickzack-Lebenslaus jetzt Paul
Alfred Merbach (Leopold Doß) mit
liebevollem Fleiße nachgespürt hat. Aber
wenn diese Abhängigkeit Marrs ein rüh-
render Mangel ist, was steht ihr an auf-
rechken Dorzügen gegenüber! Jch kann
hier nicht ausführen, nur aufzählen. Als
Mensch und Führer war noch der große
Schröder sein Dorbild; da man gegen
ihn intrigierte — um seiner Strenge und
seines Regiekönnens willen — traten Gu-
stav Freytag und Heinrich Laube für ihn
ein, und Laube hat von Marr vielerlei
für seine Wiener Tätigkeit gelernt; Marr
war der erste Darsteller des Mephistophe-
les (in Braunschweig unter Klingemann
182g), er erkannte keine „Fächer" unter
den Schauspielern an, diese bequemen
Schlupflöcher der Unbegabtcn; er war
kein Literat, womit „gebildete" Schau-
spieler so gern kokettieren, sondern Thea-
termensch, cr entdeckte im Anfänger Son-
nenthal (in Königsberg) den Künstler und
verhalf ihm nach Wien, er hielt den Dra-
maturgen für den überflüssigsten Mann
am Theater, und darum lag ihm am
Ganzen einer Aufführung, so daß er
manchmal als Statist mittat, weil er den
Gesamteindruck beeinflussen wollte. Ob
er auch in Wien, Berlin und Hamburg
gefiel, lange auSgehalten hat ers, wem'g-
stens in seinen mittleren Jahren, nirgends,
weil ihm das unpersönliche Ziel höher
stand als seine Person oder die Eitelkeit
seiner Kollegen. So ist er — trotz man-
cher Ehrung — ein Märtyrer geblieben
Hätte er die Stellung und die Mittel eines
Theaterprinzipals bekommen, er wäre we-
nigstens das für unsre Theatergeschichte
geworden, was Jmmermann, Laube,
Dingelstedt und Eduard Devrient sind.
Diel leichter hat eS Arthur El 0 esser,
wenn er von Elisabeth Bergner plau-
öert (Williams L Co.); denn die Liebe
und die Schwärmerei ganz Deutsch-
lands kommt ihm zu Hilfe: er darf eben
„plaudern". Aber ohne „Gestaltung"
geht es bei ihm doch nicht ab. Das gute
Charakteristikum „kemms-snksnt", einige
Bemerkungen zu ihrcr strindbergischen
Julie und zu ihren Zukunftsaufgaben
sinds nicht allein, die das Buch über den
Tag hinauöheben; auchAllgemeineres über
unsreKunst ist da,ausdemWesenderBerg-
ner entwickelt, das für sie und für ihn
spricht: vor allem, daß Schauspielerei nicht
die Kunst der Derstellung sei.

Auch Albert Petersen versucht es, eine
Theaterepoche durch ein Theatergenie
nachzugestalten; aber vbgleich er große
Freiheiten in Anspruch nimmt, indem er
sich von vornherein durch den Begrisf
„Roman" von der Wissenschaft löst, bie-
tet er weder eine spannende Fabel, noch
in den Hauptfiguren, der Königin Elisa-
beth und Shakespeare, glaubhafte über-
ragende Menschen. Es ist das alte Leid
der Künstlerdramen und -romane: man
muß selber wer sein, um Torquato Tasso
lebendig zu machen! Jmmerhin steckt
ernsthafte Arbeit dahinter, und vielleichk
führt A. Petersen auf seinem talhaften
Wege (statt auf schmalem Grat) man-
chen Lesefreudigen eher zu Lear, Hamlet
und Prospero als die Asthetiker von dem
schwerfälligen Schlage Ulricis und Nöt-
schers („Dirginia. — Der Schwan vom
Avon"; Hanseatische VerlagSanstalt).
Auch in die Klöster dringt Max Herr-
manns neue Fassung des Begrisfs Thea-
terwissenschaft. Der Benediktiner Robert
Löhrer geht in gründlichen und ergiebi-
gen Studien dem Derhältnis von „Mie-
nenspiel und Maske in der grie-
chischen Tragödie" (Schöningh) nach
und dringt dabei über bloße Geschichte
und bloße Literatur zum Theater vor, für
das ja die drei großen Attiker einzig ge-
schrieben haben. Dielfach steht Behaup-
tung gegen Behauptung: ob die Boten-
berichte dramatisch-bewegt oder episch-re-
zitiert gesprochen worden (ich glaube,
das hing durchaus von dem Darsteller
ab; bald trat die eine, bald die andre Art
hervor, je nach der Begabung), ob die
beiden Gesichtshälften der Masken dann
und wann ungleich im Ausdruck gewesen
seien und ob man die Masken innerhalb
eines Charakters und einer Aufführung
gewechselt und verändert habe. Jm gan-
zen wars wohl so: ursprünglich, da nur
Götter, Halbgötter und Heroen auftra-
ten, grisf man zur Maske, nicht um den
Ton zu verstärken, sondern um den klei-
nen, individuellen, allgemein bekannten
Darsteller zu verdecken, das Überirdische
nicht zu entweihen; daneben hatte man
durch die Maske den Dorteil, daß ein
Schauspieler mehrcre Charaktere und so-
gar Frauen darstellen konnte und daß er
im Lustspiel durch die Maske gewisserma-
ßen immun wurde und sich deshalb auch
einmal unflätig ausdrücken durfte, ohne
als Mensch dafür verantwortlich gemacht
zu werden. Bei Aischylos und Sopho-

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