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Kunstwart und Kulturwart — 38,1.1924-1925

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1924)
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Schumann, Wolfgang: Porträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.14441#0025

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Porträt

axl war heute wie immer. Ein kleiner Teil glaubte, er spiele. Ein
^^größerer zweifelte. Die Mehrzahl ging für ihn durchs Feuer. Zwei
^^Drittel der Akademieschüler füllten dicht den Saal. Die tzälfte war
heimlich hereingeschlichen. Er pausierte. Man hörte die alte Uhr an der
Rückwand ticken. Verändert hub er wieder an: „Man muß immer dasselbe
sagen, ich meine: daß man sehr wenig sagen kann. Was man Euch,lehren
kann' können wir kaum mit dem Stift oder dem Pinsel, in Worte will es
schon gar nicht hinein. Für den Künstler ist ein Porträt nichts andres als
ein andres Bild. Es muß ein gutes Bild sein, dann rst es ein gutes Porträt.
Man muß eben alles anständig machen, und auch die Porträts."

Konnte er weniger sagen? And doch waren sie gespannt. Er lächelte ein
wenig) da lächelten sie auch. Er versammelte seine Gedanken, dann spannten
sich ihre. Er wanderte redend durch die Welt, dann flogen sie mit rhm. So
war es immer. Nun setzte er ein letztes Wal an. Es schien jmühsam. „Ich
muß noch etwas sagen", begann er; „künstlerisch ist das Porträt so wie alle
andern Arbeiten, menschlich ist es etwas andres. Wer ein Porträt malt,
darf keinen Augenblick vergessen, daß er Schicksal macht. Wer das nicht
denken kann, dürfte nicht Porträt malen. Ihr müßt Euch vorstellen, wie
es ist, wenn man sein eigenes Bild zum ersten Mal sieht. Man erkennt sich
vielleicht zum ersten Mal. Man kann ein ganz andrer Mensch werden. Es
kann Tränen bedeuten, Erlösung, ein neues Leben, einen Schlag in den Nak-
ken. Es kann einen bestätigen und auch verneinen. Wer Porträt malt, ist
ein Aichter. And nur ein Richter darf Porträt malen. Wenn man denkt,
der Papst Iulius sah sich gemalt, groß und stark und zerrissen und alt, so
alt wie ein Toter. Der Knabe Raffael hatte ihn gemalt, und Iulius sah
es und wußte, daß Raffael es wußte. Er kann nicht weiter gelebt haben
wie vorher, wenn er einmal das Bild gesehen hatte. Heute sind Bilder vom
Augenblick üblich. Nein, gestern waren sie üblich. Man hat nicht ein Mal
ein schönes Porträt gesehen! Sehr gute Porträts, aber sie waren keine Schick»
sale. Glauben Sie mir, es werden wieder Porträts als Schicksale gemalt,
heute oder morgen, -und dann werden Sie Schönheit darauf finden. Es
ist eine dumme Meinung, daß Schönheit billig ist. Sehen Sie die Geschichte
hurch: Schönheit, die man ansehen kann, ohne auszuspucken, hat es nur ge-
geben in schicksalreichen Zeiten. In schwachen Zeiten nur auf Ansrchtspostkar-
ten, in der Gartenlaube und auf englischen Großvaterbildern. Bichtige Schön-
heit ist eine starke Sache. Wan muß stark sein, um sie zu ertragen, noch
stärker, um sie zu erfassen. Nur die großen Zeiten haben gewußt, was Kchön--
heit ist, weil sie wußten — sie hatten es im Blut —, was Schicksal ist. Niemals
kann der Maler so davon durchströmt sein, wie wenn er Porträts malt, ver-
gessen Sie es nicht."

Die Tür auf. tzerein ein Iunge aus den untersten Klassen: „Die »Minder-
leistung« ist gemalt und hängt im Zeichensaal!^ Er brüllt es vergnügt, selig,
daß er die Nachricht herumtragen darf. Alles will aufschwirren, da gewahrt
er Saxl und stottert irgend etwas. Der lächelt: „Bitte, ich bin gerade fertig."

Hitzig quirlen sie hinaus. Die Tür ist ein Engpaß. Saxl bläst Zigaretten-
rauch ans Fenster. Er ist gespannt.

Es war ein doppelter Versuch: Schicksal sein, war sein Wunsch, wie er
lange nicht gewesen, und dieser Erna Samter helfen.

Die letzten drängen sich an der Tür. Erna Samter bewegt sich langsam
 
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