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Kunstwart und Kulturwart — 38,1.1924-1925

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Heft 5 (Februarheft 1925)
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Fischer, Eugen Kurt: Carl Spitteler
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Illing, Werner: Ernst Lissauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.14441#0246

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Verwarfen sie mit hohen Armen eine Sendung
Von bunten Bänderschlingen schleudernd in die Winde,

Daß weithin segelte das schlängelnde Gewinde.

Dann unten angekommen auf dem Erdenplan,

Standen sie still und setzten die Posaunen an . .

Spitteler ist der (Linsame geblieben, fernab allen literarischen Moden.
Sein Werk ist zeitlos als Ganzes, so zeitbedingt manche Einzelheit uns
bereits erscheint. Er hatte, gleich Klopstock, den Willen zum erhabenen
Gegenstand und traute sich wie jener den großen Atem zu, eine selbstge«
schafsene Welt in all ihren Teilen mit Leben zu füllen. Zum Teil ist es
ihm gelungen; doch scheint wenig Sonne darin, weil der Baumeister dieser
Gedankenbilderwelt zu oft und zu lange in der Bauhütte über den
Plänen saß. EugenKurtFischer

Ernst Liffauer

^^.on Ernst Lissauer liegen mir Bücher in genügender Zahl vor, um
^M Hdas Schicksal eines Lebens daraus zu erkennen.

Es gibt Former von Gedanken, die zwischen das Ereignis ihres
Lebens und ihr Werk eine undurchdringliche Isolierschicht legen. Ihr per-
sönliches Verhalten zu den Gestalten, die sie schufen, ist gleichsam anonym.
Sie begegnen den Wesen, die aus ihrem Blut geboren sind, wie Fremden,
sind sehr höflich zu ihnen und fragen bei Gelegenheit diskret nach ihrem
Geburtsort.

Was aus solcher Anlage zum Kunstwerk gedeiht, überrascht durch die Ge-
schlossenheit der Form, durch die vollendete Plastik aller Verhältnisse, durch
die Selbständigkeit, ein Leben ohne Beziehung zum Erzeuger glaubhaft
führen zu können.

Unter den Schriftstellern findet sich diese Art am häufigsten (doch ist
sie stets selten!) bei den Prosaschreibern. Ich nenne Knut tzamsun, Dosto-
jewski, Goethe in den Wahlverwandtschaften. Der Kunstwart erneuert seit
einiger Zeit die Kenntnis des Holländers Maarten Maartens, der aus
diesem Holz geschnitzt ist.

Von Dichtern hält diesen Abstand der Ehrfurcht: Stefan George, an
vielen Orten Goethe, Spitteler, Conrad Ferdinand Meyer. —

Die größere Zahl der Wortkünstler nutzen das Werk, um das Be-
kenntnis ihrer inneren Wandlung sich selbst auszusprechen. Ihre Visionen
sind Einblicke in die Vollzugsgewalten des eigenen Schicksals. Ihre Ge-
stalten empfangen ihre Leidenschaften von der augenblicklichen Gestimmt-
heit des Dichters. Die einzelne Gestaltung erscheint subjektiv, firagmen-
tarisch, bedarf der Beziehung zu anderen Stimmungen. Das einzelne
Werk ruht nicht so sehr in sich selbst, als es auf die Seelenlage seines
Schöpfers hinweist, somit nur Facette am Kristallkörper des erfindenden
Geistes ist.

Solche Schöpfung reißt leichter hin, als die distanzierte. Sie fordert den
persönlichen Anteil unmittelbar heraus, ist impulsiv, zwingt sogleich, Stel-
lung zu nehmen, erzeugt starke Stimmungsresonanz, besticht durch frische,
ungemischte Farbe.

Freilich klingt sie auch rascher ab, hinterläßt mehr ein unbestimmtes
ästhetisches Behagen, als wachsende Erkenntnis und Klärung des An-
blickes, den man „das Leben" nennt. Sie liebt Raffiniertheiten der In«

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