Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 38,1.1924-1925

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1924)
DOI Artikel:
Better, Adolf: Das Filmdrama als Kunsttypus
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14441#0033

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Filmdrama als Kimsttypus*

würde starke Zwerfel an der Richtigkeit des Plans oder der Durch«
^Uführung dieser Tagung hegen, wenn sich zeigen sollte, daß wir Refe-
^^renten und Diskussionsteilnehmer schon in recht vielen Punkten einig
sind. Von vornherein hatten wir uns nur in zwei nahezu selbstverständlichen
Allgenreinheiten einig zu wissen: erstens darrn, daß wir die Kinenratographie
als eine gewaltige Macht und den Film als ein Mittel von fast unwider«
stehlicher Beeinflussung des Gefühlsverlauses erkannt haben, und zwei-
Lens, daß wir diese Macht und dieses Mittel dem allgemeinen Wohl besser
dienend sehen möchten als das heute noch der Fall ist.

Line gewaltige Macht also zu reformieren, ist unser einiger Wille. Re-
fornrer wollen wir sein, aber mit jener Bescheidenheit, die sich aus der Er«
kenntnis ergibt, daß jede Erscheinung des öffentlichen Lebens, wie alles
Gewordene, etwas Notwendiges ist, und daß, wann immer man einer Wirk-
lichkeit auf den Grund geht, man zur Erkenntnis ihrer Verflechtung mit
allem übrigen Wirklichen und Gewordenen gelangt.

Daß es nun auch eine Kinoreform gibt, muß dem Beobachter unserer all-
gemeinen Zeitumstände, auch dann, wenn er gar nicht über das Kino nach-
gedacht hat, nahezu selbstverständlich sein. Denn die Zeit, die wir erleben,
ist dadurch gekennzeichnet, daß sich so ziemlich alles im Zustande der Re-
form befindet. Kaum gibt es irgend einen Begriff, der eine Lebensäußerung
unserer heutigen Gesellschaft ausdrückt, ohne daß er in Verbindung mit
dem Worte Reform nicht schon in aller Munde wäre: Agrarreform, Börsen-
reform, Kreditreform, Dienstbotenreform, Ehereform, Finanzreform, Gefäng-
nisreform, tzausbaureform, Iustizreform — warum nicht auch eine Kino-
reform, um beim Alphabet zu bleiben!

Ein Zeitalter der Reform alfo — ob's auch eines der Reformation werden
wird, steht dahin. Etwa ein und einhalb Iahrhunderte lang dauert nun
schon dieser immer heftiger, auf immer größerem Felde ausgetragene Kampf
des Äberlieferten mit dem Gewollten. Wir sind kaum mehr imstande, den
Rmfang auszudrücken, den die rationalistischen Anderungen unseres Lebens,
d. h. die ach noch so unzulänglichen Versuche zur vernunftgemäßen Selbst-
schöpfung unseres Lebens, angenommen haben; wir müssen uns mit bild-
lichen Ausdrücken behelfen, vom brausenden Strom des Lebens sprechen,
von Stürmen, von der Wucht und der Schnelligkeit des Sturzes der Flut
über Katarakte. Dabei haben alle bisherigen Versuche der Rationalisierung
unseres Lebens kaum viel mehr ergeben, als daß wir erkannt haben, wie
viel wir noch zu rationalisieren hätten, oder anders gesagt: wir haben durch
sie erst erkannt, wie sehr wir noch Barbaren sind. Daß wir den zerstörend-
sten aller Kriege eben erlebt, ja noch nicht beendet haben, gibt unserem Schick-
sal noch einen besonderen Zug. Aber gerade dieser Krieg hat etwas schon
vor ihm vorhandenes unserem Auge enthüllt: die Verbundenheit des Schick-
sals der Völker dieser Erde. Er zeigte sogar für den, der tieser blickt, die
stärkste, wenn auch furchtbarste Internationalität und hat Millionen, die
bis dahin untereinander keinerlei Berührung hatten und kaum voneinander
wußten, Auge gegen Auge und Brust gegen Brust gegenübergestellt. Ieder

* Die folgende Arbeit Lst ein Vortrag, den Adolf Vetter auf der Kino-
reform-Tagung der Urania zu Wien im Mai 1924 hielt. Sie erscheint, hier
leicht gekürzt, gleichzeitig in der 194. Flugschrift des Dürerbundes (Kinofragen
der Zeit. Von Adolf Vetter und Wolfgang Schumann). K-L
 
Annotationen