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Kunstwart und Kulturwart — 38,1.1924-1925

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1924)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl Dietrich: Anatole France, [1]
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Die Sendung des Expressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14441#0138

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gen Maske seines AlLer-^Ego Bergeret, wahrend der andere mit Recht leugnet,
daß Anatole France schlechthin mit senern zwar geistreichen, aber willens»
schwachen tzahnrei gleichzusetzen sei. Streng genommen kann man nur dort
von wirklichen Meinungen des Denkers Anatole France reden, wo er in
eigenem Namen spricht; also etwa in der Aphorismensammlung: „Le jardin
d'Epicure", in den „Opinions sociales" oder in einigen Reden, die später
veröffentlicht wurden. Es ist aber unbestreitbar, daß er sich auch gern in
Verkleidungen verhüllt. Er liebt die „Pastiche". Manchmal will er aber gar
keine eigene Meinung äußern, sondern nur die verschiedenen Möglichkeiten
vorführen, wie man eine Sache auffassen kann. Wo sich gegenüberstehende
Arteile und Werte nahezu die Wage halten, läßt er gern Gespräche führen,
teils um durch Spruch und Gegenspruch sich der Wahrheit zu nähern (wie
dies z. B. auch Schopenhauer in seinem Gespräch über Neligion getan hat,
wobei er immer wieder betonte, daß er genau ebenso im 'Demopheles wie
im Philalethes stecke); teils um die vorläufige oder endgültige Anlösbarkeit
gewisser Antinomien zu erweisen. Wenn man öfter als bei anderen Schrift-
stellern geneigt ist, die Ansichten von France schlechthin mit den Ansichten
einiger seiner Romanfiguren gleichzusetzen, so erklärt sich das daraus, daß in
vielen seiner Werke ein geistreicher, philosophischer Raisonneur auftritt,
der in seiner überlegenen, ironischen Art lebhaft an den Autor erinnert.
Da ist z. B. der Abbe Coignard, der in zwei Werken die tzauptrolle spielt;
da ist der soeben erwähnte Professor Bergeret in den vier Bänden der „tzi-
stoire contemporaine"; da ist Trublet ln der „tzistoire comique"; Paul Vence
in „Le lys rouge"; Langelier in „Sur la pierre blanche" u. a. m. Aber alle
diese Personen sind nur Verkörperungen verschiedener Seiten vom Wesen
des Verfassers; etwa so wie Goethe sich gleichzeitig im Faust und im Mephi-
stopheles kundgibt, ohne schlechthin ganz Faust oder ganz Mephistopheles
zu sein.

Beiläufig bemerkt: auch Anatole France hatte jene mephistophelische Ader,
auf die sich Goethe gelegentlich etwas zugute tat. Als dieser »einmal mit
Eckermann auf Byrons „Deformed — Transformed" zu reden kam, und
lehterer die Stelle erwähnte:

The Devil speaks truth much öftener Lhan he's deemed,
tze has an ianorant audience —

sagte Goethe: das ist freilich ebenso groß und fre r, als mein Mephistopheles
irgend etwas gesagt hat; während sein Iünger meinte, es sei keine befondere
Kunst, geistreich zu sein, wenn man vor nichts Respekt hat. Diese Kunst ist
freilich viel seltener als der gute Eckermann glaubte. Anatole France hat sie
in höchstem Maße besessen. Auch er hat, wenn er ein wenig den Teufek
spielte, wahrhaft Großes und Freies gesagt. Wie viel Geist enthält der
Roman ,cka revolte des anges", aber welch entzückende Frechheit und Re»
spektlosigkeit liegt auch in ihm. (Schluß folgt.)


Die Sendung des Expressionismus

^E^er Ex p r essio n ismus ist tot!" „Sehen Sie! Alles Lächerliche
^H^'tirbt zuletzt an sich selber!" „Diese größte Mache unserer Zeit
^^mußte sich ja eines Tages selbst offenbaren."

Mit triumphierenden Lippen verkündet es der kunstfremde Bürger, ge-
dämpfteren Tones derjenige, der zuweilen ein Bild oder eine Ausstellung
sieht. Schadenfreude versetzt dem toten Löwen nach Belieben Fußtritte.
 
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