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Kunstwart und Kulturwart — 38,1.1924-1925

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1925)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Zwischen Gestern und Morgen, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14441#0229

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Zwischen Gestern und Morgen

Von WoLfgang Schurnann

I

als ern Menschengeschlecht stempelt heute die Zeit mit seinem
V F besonderen Wesen. So rasch drängen die Generationen sich nun
^^^ans Licht, dajz die alte noch nicht abgetreten rst, während die junge
schon laut und selbständrg daherkommt. Ia, mit einrger Bemühung wird
man rm öffentlichen Leben sogar drei, vrelleicht vier Geschlechter gleichzeitig
am Werk finden. And fast ist es kein Kampf mehr, der sie beschäftigt.
Nicht gerade friedlich, doch, mrndestens rm Augenblick, ohne heftigen Streit
lebt jede von ihnen ihrem Sinne nach. Wie sich unser millionenfassendes
Volk nach Gerstes« und Willensrichtungen immer deutlicher rn Gruppen,
Parteren, Sekten auseinanderlebt, welche teils erbrttert kämpfen, teils sich
gegeneinander gleichgültig verhalten, so schernt auch der Zustand sich zu
befestigen, daß mehrere Geschlechter nebeneinander wirken und sich „ihre
Welt" auferbauen.

Da rch dieses schreibe, feiert ein Geschlecht serne Wesensart und seine
Lhorführer, das vor fünfzehn Iahren schon — und damals allein! —
in Deutschlands Geistbild waltete. Allenthalben werden Richard Strauß-
Feiern veranstaltet und damit ein Mann und erne Musik auf den Schrld
gehoben, von denen sich die jüngere Generation durch unüberbrückbare
Abgründe getrennt weiß. Kunstausstellungen sieht man nicht selten, die
man überhaupt nur „geschichtlich" begreifen zu können vermeint. Das
Neueste aber auf dem „Markt der Alten" ist ein Roman, der genau so
1910 wie 1924 hätte erscheinen können, aber eben diesem Iahr vorbe-
halten blieb: Lhomas Manns Zweibänder „D er Zauberberg"
(S. Fischer, Berlin). Seit langem ist kein Werk so verherrlicht und ge-
priesen worden wie dieses, und doch ist es zur Gänze Frucht und Sym-
ptom des Gestern und zeugt nicht lebendiges Leben, sondern erweckt ab-
sterbendes zu flüchtiger Regung.

Was heißt aber „tzeute" und was „Gestern"? Ich spreche nicht von
einer neuen Mode, nicht von einer Zeitströmung, nicht von kurzen und
zeitlichen Parteibildungen und Bewegungen. Zwischen tzeute und Gestern
liegt die Ablösung einer Epoche durch eine andre. Der Zeit- und Lebens-
raum noch unabsehbarer Geschlechter hat angehoben, eine Epoche von vier,
fünf, sechs Menschenaltern sinkt dahin. Antriebe als Anzeichen der neuen
Epoche sind in Wenigen angesprungen, greifen um sich, erringen langsam
die tzerrschaft, die völlig unbekümmert um Parteiungen des Tages, um
kurzsichtiges Abzielen und hitziges Treiben, wie solches nun entsteht und
in Iahresfrist vergeht, den Block des Lebens schmelzen und umformen.

Außerlich: Es liegt hinter uns die Zeitspanne emsiger, im Kern unbe-
wußter, rapider, unbeherrschter Mechanisierung, des Schaffens der Mittel
für das Leben neuer, immer wachsender Millionen in Europa und
Amerika; vor uns die Zeit, die das Leben selber, nicht seine Mittel allein,
schaffen wird; die mit Bewußtsein, Besinnung, Zielsetzung, Willenstat ein
neues Welt-Spiel anhebt. .

Fedruarheft 1925 (XXXVUI, 5)

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