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Kunstwart und Kulturwart — 38,1.1924-1925

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Heft 3 (Dezemberheft 1924)
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Trentini, Albert von: Schönheit!
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Erdmann, Karl Dietrich: Anatole France, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.14441#0133

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der keine olte sich schämen wird: mitder Schönheit, die unserem
Geiste gemLß istl

Weiß ein Volk, daß es vom gemeinsten Schafhirten angefangen bis hinauf
zum erlauchtesten Geiste die Pflicht hat, so zu leben, daß es die magischen
Krafte bereite für diese Geburt? Wißt ihr das? Albert Trentini

Anatole Franee

Von K. O. Erdmann

m Oktober hat Anatole France sein Leben vollendet. Mit ihm ist
ein ganz überragender, souveräner Mensch von uns gegangen; eine
^d^Persönlichkeit von ungewöhnlichster Gigenart, die jeder Einordnung
in die üblichen psychologischen und literarhistorischen Ginschachtelungen spot«
tete. Er war im Grunde gar nicht dazu geschaffen, populär zu sein, er war
so unzeitgemäß wie nur möglich üüd wurde doch der berühmtesten 'einer.
Nicht nur in Frankreich beging man seinen Todestag als nationalen Trauer«
tag, — die ganze zivilisierte Welt empfand rhn als ein ernstes Ereignis.
tzöchste SLaatsbeamte und Generale, Diplomaten und Fürsten, Klerikale
und Monarchisten standen huldigend an der Bahre dieses Kommunisten
und radikalen Freidenkers, dessen Werke auf dem päpstlichen Index der ver-
botenen Bücher prangten. Sein Ruhm hatte etwas so paradoxes wie seine
ganze Persönlichkeit. Seine Ansichten, sein „bodenloser Skeptizismus^ waren
ganz dazu angetan, zahllose Leser zu verwirren, ja abzustoßen. War er
nicht eine Gefahr und eine Verführung? Der erste moderne Literaturhisto--
riker Frankreichs, Gustave Lanson, rühmt ihn höchlichst; aber in der Vor«
rede zu den „Pages choisies" kann er doch die Bemerkung lnicht unterdrücken,
France's philosophische Ideen seien unbefriedigend und gefährlich: sie
würden alle moralische Snergie vernichten, sobald man sie in ein System
bringen oder versuchen wollte, sie in Taten umzusehen. Zahllose seiner
Leser hätten ihn normalerweise verabscheuen müssen. And doch er'lagen sie
alle — sie mochten ihn ganz oder halb oder gar nicht verstehen, sie moch«-
ten wollen oder nicht — dem feltsamen Zauber seiner Persönlichkeit. Alle
beugten sich vor der Aberlegenheit seines Geistes, alle wurden hingerissen-
von seiner anmutigen, kristallklaren Rede; alle wurden überwältigt durch die
abgeklärte Weisheit und die milde Güte seines tzerzens, die immer wieder
durch Spott und Ironie hindurchleuchtete. In seiner Person vereinigten
sich Eigenschaften, die ganz selten zusammentreffen. Er war ein kritischer
Kopf, ein scharfsinniger Denker, ein subtiler Dialektiker und doch ein echter
Künstler. Sin Kenner von erlesenstem Geschmack. Er liebte und pries die
Schönheit in allen Formen. Kein Dichter in der landläufigen Bedeutung des
Wortes, jedenfalls kein Lyriker und Dramatiker; Dielleicht ein Spiker;
aber ein Epiker, an dessen Romankompositionen es leicht ist, tausend Mängel
aufzuspüren. Rnd doch mehr als nur ein großer Schriftsteller. Sin Men-
schenkenner und Menschengestalter. Kein Prophet und kein Kämpfer, aber
doch ein tapferer Mann. Vor allem ein Weiser und ein ganz Freier:

^Schaut ihn nur an !

Niemandem war er untertan."

M

Menschen von sehr verfeinerter und verwicketter Geistesart sind immer
verurteilt, falsch ausaedeutet zu werden. Ss ist fast komisch zu sehen, wie
Vertreter aller möglichen ganz entgegengefetzter Lebensanschauungen sich
 
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