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Kunstwart und Kulturwart — 38,1.1924-1925

DOI Heft:
Heft 5 (Februarheft 1925)
DOI Artikel:
Haës, K. W.: Drei Mappenwerke: Marc, Hildebrandt, Kreidolf
DOI Artikel:
Heusler, Andreas: Altgermanische Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14441#0237

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rhythmus. In andrer Art ist es dasselbe mit dem Kruzifixus: die Kreuze
schneiden in den Raum, jedes für sich; unten liegen, weit von einander, zwei
Gestalten im Schmerz; Himmel und 'Landschaft hauchen eine gewisse düstere
doch auch dünne Stimmung; aber all diese echten und begreiflichen Elemente
wirken nicht zusammen, sind von „Lücken" getrennt. Das starke Verein»
fachen, das zwingende Rhythmisieren, das Unterordnen des Teils unter
einen einheitlichen Ausdruckwillen, wie es etwa Steinhausen auf seinen
besten Blättern meistert, ist Kreidolf nicht durchweg gegeben. Er erinnert
damit an Quattrocentisten, an frühe, auseinanderfallende deutsche Bildwerke.

Keinesfalls aber gilt dies für die Mehrzahl dieser ernsten Werke.
Linige sind mindestens durch LichL- und Farbenkomposition zusammengefaßt
wie die „Geburt Christi". Andre haben sogar überraschend gewaltige
Schlagkraft, wie etwa „Christus auf den Wellen", obwohl hier wieder die
Dürftigkeit der Angesichter befremdet. Ganz vollendet scheint mir ein
Blatt, das zugleich das einfachste der zwölf ist: „Der einsame Christus";
grau in grau sitzt die schmerzdurchatmete Gestalt des Cinsamen auf einer
Felsbank, groß die Blattmitte bedeckend, neben ihm nichts als Stein und
Erde. Die Linie des Kopfhaars, das arm herabhängt, setzt sich verstärkt in
den hängenden, nur leicht gestützten Armen fort und klingt wieder an in
den Felslinien. Das Antlitz des Traurigen ist bis ins letzte gesättigt von
der dunklen, entrückten Stimmung wortloser Abgeschiedenheit — ein großes,
ein ins tzerz zündendes Werk! tzier ist alles Illustrative, Erzählende, Fabu-
lierte gewichen der einen, durchgehaltenen Absicht, das stärkste und tiefste
Innerliche restlos zu geben, das im Thema enthalten war. Und ein voller
Klang geht aus von einer vollmenschlichen, wuchtigen Gestalt und Gestaltung.

So enthält die Mappe eine vielfältig anregende, fast aufregende Folge
von gegensätzlich wirkenden Blättern.^ Zusammengehalten wird sie von
dem fraglosen, eindeutigen, tiefen Ernst der Stimmung; daß hier evange»
lischer Stoff aus ureigenster Kraft und Ergriffenheit neu konzipiert und
aus unentrinnbarem Müssen gestaltet ist, hebt das merkwürdige Werk weit
aus dem Durchschnittlichen heraus. K. W. tzaes

Attgermanische Dichtung

kVon je war es ein schmerzliches Bedauern, daß nur recht lahme geschicht-
liche Schriften uns ein wenig Gelegenheit gaben, altgermanische Dichtung
nach Wesen, Bedeutnng und Umfang kennen zu lernen. Die üblichen Lite»
raturgeschichten brachten teils unhaltbare Äberschätzung einzelner Zeug-
nisse aus bestimmter Tendenz, teils nur ein paar flüchtige Seiten, in
jedem Fall Rngenaues oder sozusagen „Angereimtes", Dilettantenhaftes.
Die Lesebücher vermochten mit ein paar Herausgepflückten Proben nicht
für das Gebiet zu erwärmen. — Nun hat Andreas tzeusler, einer
der wenigen für Dichtung verständnisvollen und zugleich vollkommen sach-
verständigen Fachmänner, eine Darstellung geschrieben, welche die oft emp-
fundene Lücke ausfüllt. Sie ist in dem großen „tzandbuch der Literatur-
wissenschaft" erschienen, das wir in diesem tzeft erneut anzeigen. Diese
Darstellung zeigt nun auch, welche Schwierigkeit eigentlich jenen bekannten
Mängeln der üblichen Bücher zugrunde liegt. Die Geschichte der altger-
manischen Dichtung ist letzten Endes keine „Geschichte"; sie hat keinen
zusammenhängenden, rasch überblickbaren Stoff. Alles ist Bruchstück, über-

^ Der Begleittexl Lm. Ronigers ist ihrer Problematik gegenüber unzulänglich!

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