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Kunstwart und Kulturwart — 38,1.1924-1925

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1924)
DOI Artikel:
Better, Adolf: Das Filmdrama als Kunsttypus
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https://doi.org/10.11588/diglit.14441#0038

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nicht gut verstellen, können nur bewegte Wirklichkeit vorstellen — beive
könnten durch den Film geradezu erschlossen werden; ich meine natürlich weder
das dressierte Tier noch das dressierte Kind. Iackie Coogan ist anfangs das
nicht oder nur^wenig dressierte Kind gewesen, die Konkurrenz hat ihn mit
dressierten nachzuahmen versucht. Solchen Tatsachen ist nachzuspüren; aus
ihnen ist der Stoff zu gewinnen, den der hoffentlich einmal kommende Les-
sing des Films zu einer Dramaturgie des Lichtspieles verarbeiten wird.

Weil uns, meines Wissens, eine solche Dramaturgie heute noch fehlt,^
gibt es beim Film immer wieder Rückschläge und werden richtige Wege immer
wieder verlassen, da man sie ja doch unbewußt begangen hatte. So war es,
als man oft, ohne künstlerische Notwendigkeiten, die natürliche Szene durch
die gestellte ersetzte (Löwenjagd in der Wüste auf der Berliner tzasenhaide
mit zwei transportablen Palmen), so als man von Architekten, Ingenieuren
und ersten Theaterfachleuten ganze Filmstädte erbauen, die Zeitungen von
bezahlter Begeisterung überfließen und die zur Besichtigung eingeladenen
Minister Ouantität mit Qualität verwechseln ließ. Solche Rückschläge brachte
auch der Triumphzug des amerikanischen Films nach Europa.

Was er an Neuem, Gutem brachte, und das war viel, war hierzulande
nachzuahmen schwer möglich. Wohl aber wurde das nachgeahmt, worin er
schlechter war als der europäische Film. Die amerikanischen Filmschauspieler
und Filmschauspielerinnen sind, wie man drüben sagt, standardisiert; sie
Haben mit wenigen Ausnahmen dasselbe Gesicht und dieselbe Crscheinung.
Nun will sich auch in Curopa ein Standardtypus der Filmdiva oder des
Filmschauspielers durchsetzen. Von der Asta Nielsen zur tzenny Porten war
ein weiter Abstand, und ebenso von Gunnar Tolnaes zu Hermann Wegener.
Sie waren, um einen von mir früher gebrauchten Ausdruck wieder anzuwen-
den, gleichsam nationales Kulturprodukt, und es ist zu befürchten, daß sie
durch ein internationales Zivilisationsergebnis, nämlich den einheitlichen
amerikanischen Typus, eingeebnet werden.

Ich deutete bereits an, daß ich jene Inszenierung, deren Ideal die
weitestgehende Verwendung der natürlichen Szene ist, nur für die eine nächst-
liegende, sozusagen primäre Gattung der Filmdarstellung halte. Die andere,
grundsätzlich gleichwertige, wenn auch praktisch noch wenig verwirklichte Gat-
tung ist die Darstellung der Unwirklichkeit, der Vision des Dichters. Ihre
ideale Vollendung wird vielleicht sogar eine Inszenierung zeigen, in der wie-
der gar nichts Natürliches erscheint. Ich meine, daß dort letzten Cndes
nicht mehr Schauspieler oder Schauspielerinnen auftreten werden^ sondern
nach der Phantasie gestaltete Figurinen, Puppen und Marionetten. Wer
Nichard Teschners Figurinentheater kennt, wird verstehen, was ich meine.

Noch mehr als die erste realistische Gattung erfordert diese zweite, nämlich
die Darstellung der Vision, die Mitarbeit von Dichtern, die die Fähigkeit,
den Willen und die Möglichkeit besitzen (unter Möglichkeit verstehe ich be-
sonders die Zeit und die Stille), gerade mit den der Kinematographie eigen-
tümlichen Mitteln neue, noch nicht dagewesene Ausdrucksformen für ihre
inneren Crlebnisse zu finden. Solche Künstler sind gewiß da, aber der Film-
industrie fällt es schwer, zum Wesen dieser Künstler eine Brücke zu schlägen.
Darum auch meine ich, daß die Filmproduktion nicht ausschließlich der In-

* Einen sehr bemerkenswerten Versuch dazu habe ich erst während der Lagung
kennen gelernt, das Buch von Bela Baläzs: „Der sichtbare Mensch oder die
Kultur des Films". Deutsch-österr. Verlag, Wien-Leipzig, 1924.

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