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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 2.1926

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Treutler, Max Martell: Aus den Erzählungen eines Einsamen
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https://doi.org/10.11588/diglit.30707#0118

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Aus den Lrzählungen eines Linsamen

Von Max Martell Treutler

An emem Spätherbstsonntag, kühl nnd klar, rnachte ich von Neustadt
über die Hardt, das Weinbiet einen Gang ins Gimrneldinger Tal.

Der Wald lag stumm. Nur Metsen vfifsen kurz und hell, schwangen rn
stohendem Flug von Baum zu Baum, hingen Rahrung suchend im Geäst.

Durchsichtig war die Luft. Weit ging der Blick. Scharf umrissen in
der Ebene des Wheins stand der Speyerer Dom, das Mtpörtel, der
Protestationskirche schlank Getürm. Hinter dieser Silhouette, tief violett,
zog langgestreckt des Odenwaldes breiter kRücken, leuchteten dazwischen
auf die Steinbrüche bei Heidelberg. Seitlich davon im Vordergrund, steil
und starr, schnitten die Schornsteine von Mannheim, Ludwigshafen und
Frankenthal gleich Lanzen in das dünne, schimmernde Dlau.

Weich und voll, verhallend und wiederkehrend. sangen Kirchenglocken
zu mir empor. Zu Lob und Dank dem Schöpfer all der Pracht!

lNoch einmal aufflammend in brennenden Farben glühte „der Garten
Gottes", bevor er zu winterlicher kRüfte verblich.

Sm Wirtshaus zur „Wappenschmiede" hielt ich Mittagrast. Nur
wenig Gäste waren da. Einer unter diesen fiel mir auf. Ein langer,
hagerer Gesell mit weihem Haar und Bart. Aus dem scharf geschnittenen
bleichen, zerfurchten Gesicht lugten sonderbare Augen. Stahlig grau. Im
Ausdruck ein gar seltsam Gemisch von Melancholie und Frohsinn.
Wechselnd wie der Lauf des Waldbachs. Dald tief und still, bald munter
aufspringend, die Slmgebung musternd. Allein sah der Alte an einem
kleinen Tisch am Fenster, grell im Licht, lrank seinen halben Schoppen
Äeuen, ah aus dem lRucksack Brot und Eier.

Dann steckte er die Pfeife an, sah träumend in den Wauch. And doch
nicht eigentlich „träumend". Dafür sprach zu lebhaft der Blick.

Was dem wohl alles durch den Kopf gehen mag? dachte ich bei mir.

Nach einer Weile stand er auf, schwerfällig und steif, legte den lRuck-
sack um, zog den breitrandigen Filz tief in die Stirn, stelzte hinaus mit
einem freundlichen „Grüh Gott", das allen galt.

Gegen Abend machte auch ich mich auf den Heimweg talein. Es
dämmerte schon, und kalter Wind strich mir in den iRücken. An einer
Pfadbiegung sah auf halb zerfallener Bonk der Alte. Schlafend. Das
Haupt zur Brust geneigt, die Arme schlaff herabhängend. Sein Stock
lag an der Erde.

Hch rüttelte ihn. Er fuhr empor, schien nicht gleich zu wissen, wo er
war. Sah mich fragend an.

Hallo! Auf die Dauer können Sie sich hier den schönsten Schnupfen
holen. Darum weckte ich Sie.

Sie haben recht, Herr, und ich danke Shnen.

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