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Kurpfälzer Jahrbuch: ein Volksbuch über heimatliche Geschichtsforschung, das künstlerische, geistige und wirtschaftliche Leben des Gebietes der einstigen Kurpfalz — 2.1926

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Lohmeyer, Karl: Die Sage vom Enderle von Ketsch
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https://doi.org/10.11588/diglit.30707#0212

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„Jeht weicht, jetzt flieht! Jetzt weicht, jetzt flieht! Mit Zittern unö Zähnegefletsch:

HZetzt weicht, jetzt flieht! Wir singen öas Lieö vom Enöerle von Ketsch!"

So beginnt Scheffel im „Gaudeamus" feinen Stuöentensang, der die
Sage vom Enderle von Ketfch zum Gemeingut des deutfchen Volkes
machen sollte. Sie mag an diefer Stelle in all ihren bisher bekannten
Faffungen im Laufe der Jahrhunöerte an uns vorbeiziehen.

Es ist eine uralte Wanderfage, der Caesarius von Heisterbach in feinen
1220—1223 verfahten Wundergesprächen bereits gedenkt, die einmal mit
vollem lRecht als das älteste Sagenbuch öerWheinlande bezeichnet worden
find. In diefem „Olulo§ri8 miraculorum" weröen drei Berichte gebracht,
nach denen Leilnehmer an einer Wallfahrt nach Serusalem auf offenem
Meere in der Aähe eines feuerfpeienden Vulkanes, alfo des Aetna's,
Vefuvs oder der Stromboli, Stimmen vernehmen, welche Lie An-
kunft von zu Höllenstrafen verdammten Perfonen berichten, deren
Lod dann die heimgekehrten Pilger genau zu derfelben Stunde be-
stätigt finden, die fie gleich nach diefem Ereignis aufgezeichnet hatten.
Der gottlofe Schultheih von Kolmar im Oberelfah und weitere Per-
fonen am Äiederrhein werden namhaft gemacht, was alfo fchon damals
die weite Verbreitung der Sage beweist.

Die Clrform für die Pfalz bisher möchte ich in einem Derichte des
Kurfürstl. Wates lReinhard von Gemmingen-Michelfeld d. Aelt. erhalten
fehen, der von 1606—1631 öie Familienchronik seines Hauses fchrieb
und darin eines Spukes gedenkt, den sein Vetter Dernolf von Gemmingen
zu Bürg 1578 miterlebt haben foll, der erst 1609 starb.

Als nämlich Anna Maria von der Pfalz sich am 26. April diefes
Hahres mit Herzog Karl von Södermannland, dem fpätern König
Karl IX. von Schweden, in Heidelberg verlobt hatte, zog zur Schliehung
des Ehevertrages eine pfälzifche Gesandtfchaft nach Schweden, unter der
fich auch diefer Dernolf von Gemmingen, ein Helmstadt, ein Landfchad
von Steinach und ein Schönberg befanden. Am 8. August 1578 bestiegen
fie nach Erledigung ihres Gefchäfts in Ayköping das Schiff. Nun der
Vericht des Vetters iReinhard von Gemmingen in seiner Chronik:

„Auf diefer iReiffe begegnete ihnen noch ein wunöerlicher Abentheuer.
Es war ein Wirth zu Ketsch am iRhein, nicht weit von Speyer gelegen,
den nennet man, weil er fehr feist wac, den dicken Endeclin, den kannten
sie alle wohl, hatten oft bey ihm in der Herberge gelegen. Alh fie nun
mit fehr gutem nachgehendem Wind und vollem Seegel daher feegelten,
begegnete ihnen wider alle Aatur ein ander Schiff, das seegelte auch mit
vollem Seegel wie der Wind ihnen entgegen und neben ihnen her. 2n-
dem fie fich nun fehr verwunderten und fragten: wo hinaus, was fie

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