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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 25.1982

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Nr. 4
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Waiblinger, Franz Peter: Die unwiderstehliche Vernunft: In der Bildungsdiskussion: zurück oder vorwärts zu Humboldt?
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https://doi.org/10.11588/diglit.33081#0062

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Was hat mich so fasziniert, als ich die beiden erst von Eduard Spranger wie-
derentdeckten Denkschriften zum erstenmal las? Der kühne, revolutionäre Ent-
wurf? Die Verbindung der großen Idee mit dem konkreten Detail? Die schmuck-
lose Klarheit der Sprache? Die unwiderstehliche Vernunft in der Argumentation?
Das Tempo, der Schwung der Gedanken?
„Wie vielerlei Arten von Schulen soll es geben? wie viele von jeder Art? und
welche?“ Mit dieser grundsätzlichen, ohne alle Präliminarien vorgebrachten Fra-
ge beginnt der Reformplan für das Königsberger Schulwesen. Und mit einem
souveränen „Ich bin dagegen“ wendet sich Humboldt gegen seiner Meinung nach
falsche Antworten auf dieses zu allererst zu klärende Problem. Wer könnte heute
im wissenschaftlichen Diskurs der Bildungsforscher mit so befreiender Sicher-
heit seine Person ins Feld führen? Auch das macht die beiden Texte, die eher
spontan als offiziell wirken, so reizvoll: daß ihre Einfachheit und ihre uns über-
wältigende Zuversicht in das Gelingen in unserer allzu kompliziert gewordenen
Welt nicht mehr möglich ist. Vielleicht sollten wir gerade deswegen aus der Per-
spektive dieser beiden Schriften einen Blick auf unsere Bildungslandschaft wer-
fen.
Es dürfe nur drei Arten von Schulen geben, schreibt Humboldt: die Elementar-
schule, die „gelehrte“ Schule (d. h. das Gymnasium) und die Universität. Den
Mittelschulen spricht er alle Berechtigung ab. Ein (eher praktischer) Grund da-
für sei die Tatsache, daß man einem Kind nicht immer ohne Schwierigkeit die
ihm entsprechende Schule zuweisen könne: „Da (...) die Bestimmung eines Kin-
des oft sehr lange unentschieden bleibt, so bringen sie (die Mittelschulen) den
Nachteil hervor, dass leicht Verwechslungen vorgehen, der künftige Gelehrte zu
lange in Mittelschulen, der künftige Handwerker zu lange in gelehrten verweilt,
und daraus Verbildungen entstehen.“
„Ein und dasselbe Fundament“
Vor allem deswegen aber wendet sich Humboldt gegen die Gliederung in ver-
schiedene Schularten, weil die „allgemeine Menschenbildung“, die alleinige Auf-
gabe des Schulunterrichts, für alle gleich sein müsse: „Dieser gesammte Unter-
richt kennt daher auch nur Ein und dasselbe Fundament. Denn der gemeinste
Tagelöhner, und der am feinsten Ausgebildete muß in seinem Gemüth ursprüng-
lich gleich gestimmt werden, wenn jener nicht unter der Menschenwürde roh,
und dieser nicht unter der Menschenkraft sentimental, chimärisch, und ver-
schroben werden soll. (...) Auch Griechisch gelernt zu haben könnte auf diese
Weise dem Tischler ebenso wenig unnütz seyn, als Tische zu machen dem Gelehr-
ten.“
Natürlich gibt sich Humboldt nicht der Illusion hin, schlechterdings jedes
Kind könne bis zur Universität gelangen. Von seinen individuellen Fähigkeiten
hänge es ab, wie weit ein Schüler gebracht werden kann. Wir sehen im Abbre-
chen der gymnasialen Schullaufbahn im allgemeinen ein Scheitern, weil wir wie
gebannt auf Abschlußqualifikationen und die durch sie erreichten Berechtigun-
gen starren. Für Humboldt verliert die im Gymnasium vermittelte Allgemeinbil-

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