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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 25.1982

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Nr. 4
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Heck, Thomas Leon: Ubi sunt qui aiunt ζώσης φωνής? oder: vom Nutzen korrekter Lateinaussprache
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https://doi.org/10.11588/diglit.33081#0072

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richtsredner, die zwar mit peinlicher Sorgfalt darauf achteten, kein h auszulas-
sen, denen es aber kaum etwas ausmache, das Leben eines Angeklagten auszu-
löschen3. Doch wer einer derartigen Kritik entgehen will, blendet diese weltan-
schaulichen Bezüge aus und fragt vom rein wissenschaftsinternen Standpunkt
der Klassischen Philologie nach dem Nutzen einer richtigen Aussprache des
Lateins.
Zunächst sollen einige Erfahrungen zeigen, daß auch sogenannte tote Spra-
chen wie Altgriechisch und Latein klanglich erlebt sein wollen.
Die intensive Beschäftigung Petrarcas mit Cicero (und damit einer der äußeren
Anlässe zur Entstehung der humanistischen Bewegung) beruht zu einem großen
Teil auf einer Klangerfahrung, die er als noch unverständiger, junger Leser mit
dessen Werken gemacht hatte: Einer seiner spätesten Briefe bezeugt, wie sehr er
einst von der sonoritas der Worte Ciceros gefesselt worden war4.
Bekannt ist ferner die Wirkung, die gesprochenes Griechisch auf Goethe aus-
übte5.
Und der Tübinger Gräzist Wolfgang Schadewaldt schildert, wie ihm seine
Zweifel an der dichterischen Einheit der,Odyssee“ zur Gewißheit wurden, als er
einmal beim lauten Lesen der Verse rhythmische Unterschiede zwischen dem 4.
und 5. Buch deutlich wahrnahm6.
Wenn also angenommen werden kann, daß ein akustisches Erleben des Lateins
dem Umgang mit dieser Sprache überhaupt dient, dann ist es m. E. nur eine
Frage der Konsequenz, ob man Cicero oder Vergil in ihrer eigenen Aussprache
zu Wort kommen lassen will oder in einer anachronistischen Vertonung, bei der
nicht nur eine Fülle von Wortspielen, Assonanzen, Alliterationen, onomatopoe-
tischen Wörtern und impressiven Mitteilungen verloren geht, sondern die auch
den klassischen Autor eines Klangeffekts beraubt, der ihm oft so wichtig war
wie der inhaltliche und den er ohne jeden Zweifel beabsichtigt hat, was sich
selbst z. B. an einigen Briefen Ciceros nachweisen läßt. In diesem Zusammen-
hang ist schon mehrmals daraufhingewiesen worden, daß Lateinsprechende bis
in die Spätantike hinein in der Regel alle schriftlichen Mitteilungen laut lasen7.
Der gegenwärtige Zustand, daß jede Nation das Latein ihren eigenen Ausspra-
cheregeln unterwirft, hat aber noch weitere Nachteile: Auf der einen Seite führt
die geradezu babylonische Sprachverwirrung bei den entsprechenden Gelegen-
heiten zu ungewollter Fleiterkeit (so berichtet schon Erasmus, daß sich bei An-
bzw. Aussprachen verschiedener europäischer Gesandter vor Kaiser Maximilian
die jeweiligen Zuhörer zum Teil vor Lachen die Bäuche hielten8), auf der an-
deren Seite aber auch zu unglaublichen Verständnisschwierigkeiten. Denn nicht
3 Confessiones 1, 18.
4 W. Rücgg, Cicero und der Humanismus, Zürich 1946, S. 26ff.
5 Italienische Reise, 13. Januar 1787.
6 D. Laxese, Wolfgang Schadewaldt. Eine Lebensskizze, Amriswil 1967, S. 38f.
7 J. Balogh, Voces paginarum, Philologus 82, 1927, S. 84ff., 202ff.
8 Desiderii Erasmi Roterodami De recta Latini Graecique sermonis pronuntiatione dia-
logus, hrsg. von J. Kramer, Meisenheim a. G. 1978, S. 214f.

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