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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 31.1988

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Nr. 2
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Aufsätze
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Kytzler, Bernhard: Classics in China
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https://doi.org/10.11588/diglit.35869#0041

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,,Immerdar Frühling" in der Provinz ,,Glückswald" (alias Changchun in der Provinz Ji-
lin) ist gewiß ein poetischer Platz für ein pädagogisches Experiment. Freilich ist die 1,8-
Millionenstadt, bekannt durch ihre Automobilfabrik Nr. 1 (mit der legendären Limou-
sine ,,Die rote Fahne" und dem gleichermaßen legendarischen Lastwagen ^Libera-
tion"), mit ihrer großen Eisenbahnfabrik und sonstigen Industrie, zunächst anderweitig
orientiert. Und wer mit der Trassib durchreist, der pflegt eher zuvor in Flarbin oder
hernach in Shenyang Station zu machen als gerade hier. Andererseits ist eine erstaunli-
che Vielzahl von Universitäten und Colleges in dieser Provinzkapitale versammelt, es
gibt Einrichtungen für Musik und für Medizin und für Mode, das Drama wird studiert
und der Bergbau, die Optometrie und die Pädagogik und vieles mehr.
IHAC nahm 1985 seine Aktivitäten auf. Studenten aus einem halben Dutzend Eliteuni-
versitäten des Landes wurden delegiert, sie wählten eines der Fächer (Akkadistik, He-
thitologie, Ägyptologie, Western Classics, hernach auch Semitistik) und nahmen ihre
Arbeit auf. Als ich, der erste Foreign Fxpert für die Klassische Philologie, im Frühjahr
1987 zu ihnen stieß, um sie zu ihrer Graduierung am Ende des Sommersemesters zu
führen, fand ich sie bereits sprachlich gut trainiert vor. Ein chinesischer Kollege, Prof.
Han Jing-Tao, katholischer Priester und als solcher der alten Sprachen gründlich kun-
dig, hatte ihnen die Anfangsgründe der Grammatik glänzend beigebracht. Seinen Akti-
vitäten war nicht nur diese Grundlegung zu danken, sondern auch die eingangs er-
wähnte Buchproduktion in lateinischer Sprache. Sie gibt auf anrührende Weise Kunde
nicht nur von den eben erworbenen Kenntnissen der Kommilitonen in einer ihnen
exotisch fernen Sprache, sondern auch von ihren Lebenswegen und Erfahrungen, von
ihren Gedanken, Beobachtungen und Empfindungen. Der Hintergrund des Heimat-
dorfes kommt hervor, die wechselnden Umstände in Schulen und Hochschulen, das
Trauma der kulturrevolutionären Jahre, die Probleme mit dem klimatischen und kultu-
rellen Environment in Changchun. Die Lektüre ist ergebnisreich genug; Li Ping hat sich
selbst darin portraitiert, studiert nun an der Universität Mainz und erklärt gern, was
noch zusätzlich zu fragen sein mag — wie der Referent selbst nicht minder.
Meine Tätigkeit im Rahmen des IHAC war alles andere als einseitig. Es galt das Curri-
culum zu planen und zu adaptieren, die Bibliothek aufzubauen und zu ordnen, die
Konzeptionen der Studien koordinieren zu helfen, Auskünfte zu erteilen über die
Primär- und die Sekundärliteratur, über Stipendienwesen im Westen und Visaproble-
me, über Buchhandlungen und Forschungsvorhaben. Ich hielt eine deutsche Teestun-
de ab, in der den interessierten Gästen Gelegenheit gegeben wurde, im privaten Rah-
men ihre Kenntnisse in dieser Sprache zu vertiefen. Und ich wandte mich um Hilfe an
Verlage, Stiftungen und Förderungsgesellschaften — im allgemeinen mit erfreulichem
Erfolg, so daß mein Nachfolger nun brauchbare Landkarten vorfindet, den Kleinen
Pauly, den Roscher und das RAC. Ich organisierte die Vorführung einer aus Hongkong
stammenden Raubkopie von SPARTACUS und plante eine Fahrradtour durch die Stadt
,,Greek Architecture in Changchun". Die gab es wirklich. Nicht, daß Alexander gar
bis hierher gekommen wäre. Es handelte sich um eine andere Art Vermittlung. In der
Zeit ihrer Hegemonie hatten die Japaner die Stadt zu einer Art Modellhauptstadt für ih-
re Satellitenstaaten geplant, und zu ihren Bauleistungen zählten dann eben Imitate,
wie die 16 dorischen Säulen des Bankgebäudes am Hauptplatz oder die 8 Korinthi-
schen am jetzigen Forstministerium.

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