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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 31.1988

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Nr. 2
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Aufsätze
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Kytzler, Bernhard: Classics in China
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https://doi.org/10.11588/diglit.35869#0040

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Ciassics in China

Wer im vergangenen Jahr im Herbstheft der VOX LATiNA blätterte, stieß auf unge-
wohnte Zeichen. Der Leser entdeckte, gewiß zu seiner nicht geringen Verblüffung, ei-
ne ganze Reihe von chinesischen Charakteren mitten im lateinischen Text. Eine Buch-
besprechung gab da die verwirrende Kunde vom Erscheinen, von Anlage und Inhalt
des ersten in China verfaßten lateinischen Buches. Ein Sammelwerk aus dem Jahre
1986 legt rund ein Dutzend Aufsätze von Studierenden der Klassischen Philologie vor,
bündig betitelt VITA MEA IN UNIVERSITATE. Wer das so besondere Büchlein kennen-
lernen will, findet es als frischeste Akquisition in der Sektion NEULATEIN in der Bib-
liothek des Seminars für Klassische Philologie an der Freien Universität Berlin. Was es
aber damit auf sich hat, erfährt er auf den folgenden Seiten.
Das traditionelle chinesische Schulsystem, selbst überreich an klassischen Autoren,
hatte natürlich keinen Bezug zu und keine Verwendung für die sogenannten klassi-
schen' Autoren des Fernen Westens. Gewiß brachten christliche Missionare mit der la-
teinischen Messe auch dieses Sprachgut ins Reich der Mitte; doch blieb es auf eine
winzige Randgruppe beschränkt, die Ansätze etwa der Missionsschule in Shanghei
verloren sich rasch im Nachkriegschina. Obgleich seinerzeit gelegentlich ein Junger
chinesischer Gentleman in England c/assics studierte, obgleich Sir Gilbert MURRAY zu
seiner Zeit eine Reise nach Peking unternahm, um den Versuch der Gründung einer
chinesischen Gesellschaft für die Pflege griechischen Geistesgutes zu wagen, blieben
diese Ansätze doch in den Wirren des Weltkrieges stecken.
Andererseits gehört zum Curriculum des Höheren und der Hohen Schule dieses Lan-
des auch das Fach WELTGESCHICHTE. Es wurde, so gut das gehen mag, aus moder-
nen Übersetzungen der alten Quellen gespeist. Hethitische Briefe und das Gilga-
mesch, ägyptische Totenbücher und die Texte der Nekyia Homers oder Vergils — all
das war nur aus Übertragungen in die quattre /anguages zugänglich — soweit solche
eben überhaupt Vorlagen.
Bald machte sich ein Unbehagen breit. Das Quellenstudium mit Unterlagen aus zwei-
ter Hand, der Mangel an eigenständigen Beobachtungs- und Beurteilungsmöglichkei-
ten wirkten unwissenschaftlich, beschränkten den Forschungshorizont und das Ge-
dankenpanorama überhaupt. So kam es im Jahre 1984 zu einem Vorstoß, den drei
führende Althistoriker, die Nestoren oder Patriarchen des Fachs in Jenem Lande, bei
der Regierung unternahmen. Die drei Kollegen Zhou Gucheng, Wu Yujin, Lin Zhi-
chun erhielten unter dem 30. August 1984 als Dokument Nr. 54 die Antwort des Mini-
steriums für Erziehung. Das drei Seiten lange Dokument gibt in 4 Paragraphen die al-
lerhöchste Zustimmung zu dem Vorschlag, ein Institute for the Htstory of Anctent Ovt-
/ßatfons, kurz IHAC genannt, zu etablieren. Standort soll vorderhand die Northeast
Normal University sein, NENU im Kürzel, das Tätigkeitsfeld des Jüngsten der drei Senio-
ren, des 77jährigen Prof. Lin. Studenten aus dem ganzen Land werden nach Changchun
delegiert, der Hauptstadt der Provinz Jilin im Nordosten des Landes, also im ehemaligen
mandschurischen Stammland, das nun freilich fast völlig von Han-Chinesen besiedelt ist.
Zur Erinnerung: Es ist dieselbe Stadt, die einst unter dem Namen Hsinking die Kapitale
des kurzlebigen Kaiserreichs Mandschukuo war unter jenem Aisin Gioro Pu yi, der jetzt
als ,,Der letzte Kaiser" auch hierzulande zu filmischen Ehren gekommen ist.

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