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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 31.1988

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Nr. 2
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Buchbesprechungen
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Müller, Alexander: Zur Begleitgrammatik der Ianua Nova
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https://doi.org/10.11588/diglit.35869#0053

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Schreibung, wie sie in der BGr vorliegt, kann beim Schüler nur Verwirrung stiften, denn tatsäch-
lich gebraucht er und seine Umwelt - einschließlich der Lehrer - das Perfekt anders. Daher ist es
wohl richtiger zu sagen, daß das deutsche Perfekt den allgemeinen Vollzug bezeichnet und zeit-
lich indifferent ist. Die zeitliche Einordnung geben andere Kontextelemente:
a) Im Jahre 44 v. Chr. haben Brutus und Cassius Cäsar ermordet.
b) Heute hat Fritz sein Abitur gemacht.
c) Spätestens morgen habe ich alles aufgeräumt.
Zugleich sollte man auch die - allerdings beliebte - Unterscheidung eines resultativen und konsta-
tierenden Perfekts aufgeben. Mir ist es noch nie gelungen, diese Differenzierung vorzunehmen,
auch nicht, wenn ich die Beispielsätze der BGr lese: ,,Rom ist auf sieben Hügeln gebaut" (angeb-
lich resultativ) und ,,Die Saurier sind längst ausgestorben" (angeblich konstatierend). Ich vermag
keinen Unterschied im Perfektgebrauch zu erkennen; übrigens, wie ich aus Gesprächen weiß,
geht es vielen meiner Kollegen nicht anders. Zehnjährige Schüler werden da nicht viele Chancen
haben, das zu leisten, vorausgesetzt, daß es diesen Unterschied gibt.
Ähnlich steht es mit der Beschreibung des deutschen Präsens. Ich glaube nicht, daß in einem Satz
wie: ,,lm Jahre 44 v. Chr. ermorden Brutus und Cassius Cäsar" der Sprecher - oder Hörer - den
Vorgang (des Ermordens) als gegenwärtig sieht, wie es in § 54 der BGr heißt, genauso wenig, wie
in dem Satz: ,,ln 5 Jahren mache ich das Abitur". Richtig wäre es, auch das Präsens als zeitlich in-
different zu beschreiben.
In § 184 nehmen wir Abschied vom Praesens historicum. Es ersteht wieder auf als Praesens dra-
maticum. Das subito des Beispielsatzes signalisiert die Dramatik - in den Ostia steht repente. Nur,
wenn ich Cäsar lese, kann ich nichts davon entdecken. Der Übergang zum Präsens geschieht
lautlos (B.C.I 3 u.a.). Und wie steht es mit den ersten 13 Lektionen des Lehrbuches? Hat der
Schüler nicht schon monatelang erlebt, daß das Präsens auch für die Vergangenheit gebraucht
werden kann, wenn von Syrus servus, dem campus Martius und den Konsuln die Rede ist?
6) Auch in anderen Fällen gibt es subtile Unterscheidungen, die ich nicht nachzuvollziehen ver-
mag. Etwa in § 90. Einmal kann ich keinen Sinn darin sehen, den Terminus zu ändern - adhortati-
vus und iussivus -, nur weil sich die Person geändert hat, zum andern werde ich meinen Schülern
nicht erklären können, warum der Satz: Studium nostrum deae gratum sit = Unser Bemühen mö-
ge der Göttin willkommen sein" ein iussivus, also ein Befehl oder eine Aufforderung ist, während
Sit vita nostra fe/ix - Möge unser Leben glücklich sein,, ein optativus (Wunsch) ist. Wem wird im
1. Satz etwas befohlen, oder wer wird aufgefordert? Etwa die Göttin? Das wäre eine Blasphemie.
Erfreulich ist, daß auch der Konjunktiv II für die Übersetzung des optativus gebraucht wird. Uti-
nam propitia sis = Ach wenn du doch gnädig wärst! So wird auch im Anhang der Konjunktiv H
sowohl für die Wiedergabe des Potentialis als auch Irrealis gebraucht. Nur hätte ich lieber gese-
hen, daß die Darstellung so wäre, daß nicht der Eindruck entsteht, es gäbe eine eindeutige Zu-
ordnung im Deutschen. Wer will schon sagen, daß der Satz ,,Wenn nur was käme und mich mit-
nähme" irreal gemeint ist (§ AI 5), ein Tramper verstünde ihn sicher potential, oder ,,Wer wüßte
nicht...?" potential ist, er könnte genauso gut irreal gemeint sein. Das werden nicht die einzigen
Schwierigkeiten bei der Erklärung des Konjunktivs sein. Hierfür nur noch ein Beispiel: In § 200
heißt es zum Konjunktiv im Relativsatz: Der It. Konjunktiv als Modus der Vorstellung weist auch
in diesen Relativsätzen auf Meinungen und Gedanken hin, die der Verfasser nur referiert". Abge-
sehen davon, daß die Termini Verfasser und Sprecher ständig wechseln - zu welchem Zweck?
fragt man sich -, sind alle zitierten Relativsätze Aussagen des Sprechers. Wäre es nicht der Fall,
müßte im Deutschen der Konjunktiv stehen, im Lateinischen dürften solche Sätze wie: Non fs
sum, qu; pedcu/o mords terrear nicht Vorkommen; über sich selbst kann der Sprecher nicht „re-
ferieren".
7) Zu den Partizipialkonstruktionen sind mir zwei Dinge aufgefallen: Einmal der Satz ,,!m Deut-
schen sind PP selten; sie bezeichnen außerdem die gedankliche Fügung nicht" § 108. Dieser
Satz impliziert, daß die gedankliche Fügung im Lateinischen ausgedrückt würde. Aber das ist

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