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Oberrheinische Kunst — 3.1928

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Futterer, Ilse: Zur gotischen Plastik im Elsaß
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https://doi.org/10.11588/diglit.53860#0055

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Zur gotischen Plastik im Elsaß
muß unsere Abrahamsszene (in der Sammlung des Frauenhauses zu Straßburg i. Els.) entstanden sein1.
Über die ursprüngliche Herkunft des i m hohen, aus grauem Sandstein bestehenden Reliefs ist leider nichts
mehr in Erfahrung zu bringen. Die Vermutung, daß es aus dem Münster oder wenigstens aus einer
Kirche Straßburgs stamme, ist immerhin gut gegründet, denn die Skulpturensammlung von »unserer
Frauen Werk« (daher »Frauenhaus«) erwuchs aus der ausgewechselten oder sonstwie im Laufe der Zeit
überflüssig gewordenen Münsterstatuarik und hat nur in ganz vereinzelten Fällen Reste anderer Kirchen-
ausstattungen — beispielsweise die wundervollen Schnitzereien aus der Straßburger Kartause oder den
Steinapostel aus dem nahen Molsheim aufgenommen.
Als Aufstellungsort wird man aus Gründen der relativ gut erhaltenen alten Bemalung und der
unversehrten Meißelschärfe in den Gesichtern doch eher an ein Kircheninneres als an Verwendung in
einem Tympanonstreifen denken wollen. Lettner- oder Altarverkleidung sind zu erwägen. Für das Münster
fiele die Möglichkeit einer Unterbringung am Lettner freilich weg, denn alte Handzeichnungen und Stiche
sowie die 9 erhaltenen Apostelstatuen unterrichten uns über seinen Aufbau und Plastikstil hinreichend
genau, um sagen zu dürfen, daß an ihm kein Platz für unser Relief gewesen sein kann. Bleiben die
zahlreichen anderen Gotteshäuser der Stadt, deren einige auch Lettner besaßen, und schließlich die Ver-
wendung am Altarstipes oder als Retabel. Die typologisch enge Beziehung vom Opfertod Isaaks zum Opfer-
tod Christi, dem Dreizehnten sehr geläufig, kann möglicherweise auf Herkunft von einem Fronaltar deuten.
Daß hinter den verschiedenen Mainzer Lettnerfragmenten und dem größten Teil der Naumburger
Westchorplastik mindestens dem Anlageplan nach in der Hauptsache ein und derselbe überragende Bild-
hauer steht -— darüber ist sich die Forschung einig. Weniger einmütig scheint sie gegenüber Pinders
Annahme, in dem Hirtenrelief des Chartreser Lettners, Taf. 25,1, sei uns ein weiteres, den anderen zeitlich
vorangehendes Werk erhalten (Pinder 1925, 23). Und auch die Verfasserin gesteht, daß sie die Richtigkeit
dieser Meinung erst vor dem Original zu Chartres einsehen konnte. Da ist in der Tat die gleiche Wucht
der Tiefenraumgestaltung zu spüren, und die gleiche Lust an stämmigen, in ihrer Dreidimensionalität
betonten Leibern, an energiegeladenen Bewegungen wie in Mainz-Naumburg. Gerade hierin, in dem
Spannungsgrad, der dem bewegten Körper eine gewisse, eigentümliche Haltung und Gestrafftheit
mitteilt (unabhängig von der jeweiligen Lagerung der Glieder — mithin auch an Figuren ganz verschiedener
Stellungen beobachtbar), kommen sich der Hirte in Chartres und der Abraham nahe.
Der Hirte steht in Dreiviertelprofil mit scharf nach vorn abgedrehtem Kopf; seine aufgestützten
Arme umgreifen ein Stück Raumtiefe, machen die Rundung und Körperlichkeit der Gestalt erst recht
deutlich. Beim Abraham ist der von seinen Armen eingeschlossene Raum ebenfalls wesentliches Mittel
der Tiefenwirkung und in der Anlage wie im Größen Verhältnis aus dem gleichen Volumengefühl heraus
bestimmt. Die Reaktion auf die Engelsbotschaft führt hier und dort zur selben Kopfhaltung: das Antlitz
bleibt frontal, das Ohr nur, nicht das Auge kehrt sich dem Engel zu. In Chartres wird die Form vorzugs-
weise aus der Tiefe nach vorn entwickelt. Bäume, Tiere und Mensch scheinen in voller Frontalität aus dem
Hintergründe herauszuquellen. Dieser Zug äußert sich in Straßburg nicht so entschieden. Abraham ist
teilweise in den Reliefgrund eingelassen, wie wir das später bei den Naumburger Zwickelreliefen beobachten
1 O. Schmitt, »Gotische Skulpturen des Straßburger Münsters« Frankfurt 1924, Bd. I, bildet das Abrahamsrelief
auf Taf. 29 ab und bestimmt es in den Abbildungserläuterungen ohne weitere Begründung als »Schulwerk des Ecclesia-
meisters«. Im eigentlichen Text nicht weiter erwähnt.

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