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Oberrheinische Kunst — 3.1928

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Polaczek, Ernst: Zum Problem des Straßburger Gerichtspfeilers
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Schmitt, Otto: Die Friedberger Lettnermadonna
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https://doi.org/10.11588/diglit.53860#0161

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Otto Schmitt / Die Friedberger Lettnermadonna

die zum Gericht rufen (18,19) un^ Gruppen von Auferstehenden (20—23). Die kleinen Felder mit den
Evangelistensymbolen stehen zu den größeren mit den Apostelpaaren etwa im gleichen formalen Zusammen-
hang, wie am Straßburger Gerichtspfeiler die Konsolfiguren der Evangelistensymbole mit den Evangelisten -
statuen. Die einzelnen Faktoren der Komposition sind nicht in einem räumlichen Zusammenhang gedacht
und empfunden, sondern in ein abstraktes geometrisches Schema eingeordnet, wofür ja auch der Hortus
Deliciarum Beispiele bietet. Die Auflösung der vielfigurigen Komposition in Einzelfiguren und Figuren-
paare ist grundsätzlich in beiden Fällen die gleiche. Von subsidiärer Wichtigkeit ist die stilistische Nähe,
wobei natürlich keineswegs bestritten werden soll, daß viele gemeinsame Züge sich aus allgemeinen Zu-
sammenhängen — zeitlicher und landschaftlicher Nachbarschaft — erklären lassen. Die zum Gericht rufen-
den Tubabläser (Taf. 58, Abb. 2 nach Tafel 277, unten des Houvetschen Werkes) sind Geschwister der
Straßburger Tubabläser, von ganz verwandter Art der linearen Bildung und Bewegung. Noch verwandter
ist die herrliche Gruppe der Straßburger Auferstehenden den in zwei Paaren in dem Kreisfenster von Char-
tres erscheinenden (Taf. 59, Abb. 1 nach Houvet Tafel 278); noch ähnlicher ist die andere Gruppe, von
der leider keine Sonderaufnahme zu beschaffen war.
Man könnte sich den Entstehungsvorgang etwa so denken: dem Straßburger Meister wurde, nachdem
er die zwölf Apostel für das Portal mit einer Öffnung und reichlich abgestuftem Gewände geschaffen hatte, der
Wunsch kundgegeben, er möge das »Jüngste Gericht« im Innern darstellen. Statt des einfachen Portals solle
ein Doppelportal geschaffen und mit den Szenen der Mariengeschichte geschmückt werden. Er war in
Verlegenheit, weil sich im Innern nirgends ein günstiger Ort für ein Jüngstes Gericht bot. Da kam ihm
die Erinnerung an Chartres. Er entsann sich der statuenbesetzten Vorhallenpfeiler an den Querschiff-
fronten und des »Jüngsten Gerichts« an der Westfront, und aus der Kombination dieser beiden Kompositions-
prinzipien — der konzentrischen Anordnung um eine vertikale Achse und der Auflösung der Komposition
in einzelne Figuren — entstand ihm der Gedanke an seine Lösung der Aufgabe. Die fertigen Apostel-
statuen — gleichgültig, ob Werke seiner Hand oder eines älteren Meisters von ähnlicher Bildung und
Tendenz — wurden am Südportal verwendet.
Die Friedberger Lettnermadonna
Von Otto Schmitt1
Auch in Friedberg hat die deutsche Bildhauerkunst des 13. Jahrhunderts ihre Spuren hinterlassen.
Allerdings ist von den beiden Friedberger Statuen, die dieser Zeit angehören, nur eine an Ort und Stelle
geblieben, die Madonna am Lettner der Stadtkirche. Die zweite, eine rätselhafte Frauenfigur, die ehedem
am Hause Kaiserstraße 70 stand, wurde während der Inflationszeit verkauft und fand schließlich ein Asyl
in Frankfurter Privatbesitz. Ihre Entführung aus der Heimat hat wenigstens den einen Vorteil gehabt,
daß das bis dahin kaum beachtete Werk inzwischen durch zweifache Veröffentlichung der Forschung
zugänglich gemacht worden ist2. — Es kann als ausgemacht gelten, daß die Friedberger Jungfrau (Taf. 60,
1 Dieser Aufsatz ist 1925 für die populären „Friedberger Geschichtsblätter“ geschrieben, wurde aber zurück-
gezogen, weil keine Aussicht auf hinreichende Illustration bestand.
2 Schmitt-Swarzenski, Meisterwerke der Bildhauerkunst in Frankfurter Privatbesitz Bd. 1, Frankfurt a. M. 1921,
Nr. 13. — Erwin Panofsky, Die deutsche Plastik des 11,—13. Jahrhunderts, München 1924, Taf. 90 b.
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