Otto Schmitt
Abb. i) um die Mitte oder ganz bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden ist. Sie trägt
noch jenes dünne und faltenreiche Gewand, durch das der Körper hindurchschimmert, wie es die Bild-
werke des Straßburger Ecclesiameisters oder die Madonna der Fuststraße in Mainz (jetzt im Bischöfl.
Diözesanmuseum im Dom, vgl. Abb. 2 auf Taf. 60) zeigen. Freilich ist die Stoffbehandlung nicht mehr
so flüssig und fein, die Haltung nicht mehr so frei, der Körper nicht mehr so vollendet schön und wohl-
verstanden wie bei diesen ein wenig älteren und an Qualität beträchlich überlegenen Figuren. Die Friedberger
Jungfrau steht befangen, Haltung und Gebärden haben etwas Steifes, die Gewandstruktur ist dichter, die
Drapierung strenger geworden1, und im Mantel macht sich schon der Übergang zu den breit fallenden,
den Körper stärker verhüllenden Falten der Folgezeit bemerkbar. So vertritt unsere Statue das letzte
Stadium des eigentlich frühgotischen Gewandstils und tritt damit in eine gewisse Parallelstellung zu den
Südportalskulpturen des Wetzlarer Domes, unter denen sich übrigens eine zwar sehr schwache, aber doch
unverkennbare Nachahmung der obenerwähnten Mainzer Fuststraßenmadonna befindet2. Mainz mag das
künstlerische Zentrum sein, aus dem der Friedberger Meister hervorging, wie auch in späterer Zeit mehr-
fach Zusammenhänge zwischen der Mainzer und der Friedberger Kunst zu beobachten sind3.
Nicht unerheblich jünger als die Friedberger Jungfrau und von ganz anderem Stil ist jene Statue
der Muttergottes, die am Lettner der Stadtkirche steht (Taf. 60, Abb. 3U.4)4. Wo sie ursprünglich stand,
wissen wir nicht; schwerlich am Lettner, der in diesen Teilen einer wesentlich späteren Zeit angehört
und an dem die Figur in befremdender Asymmetrie aufgestellt ist. Früher mag sie einen der Würde der
Gottesmutter und Kirchenpatronin besser entsprechenden Platz innegehabt haben, doch läßt sich Genaueres
nicht festseilen. Aus der Kirche stammt sie aber wohl gewiß, und es liegt sogar nahe, anzunehmen, daß
sie in Zusammenhang mit der Errichtung des jetzt stehenden Baues entstand, dessen Querschiff nach der
neuesten Forschung bereits im 3. Viertel des 13. Jahrhunderts begonnen wurde5 6, während der Chor erst der
Jahrhundertwende angehört (Weihe 1306).
Von der Friedberger Jungfrau unterscheidet sich die Lettnermadonna auf den ersten Blick durch
ihre starke Bewegtheit: Der rechte Fuß ist weit zurückgesetzt und scheint eben in einer temperament-
1 Das Verhältnis der Friedberger Jungfrau zur Fuststraßenmadonna entspricht ungefähr dem der Straßburger
Margarete zur Ecclesia, vgl. O. Schmitt, Gotische Skulpturen des Straßburger Münsters 1924, Taf. 4 und 35. — Aus der
„altertümlich“ gebundenen Haltung der Jungfrau darf nicht etwa geschlossen werden, daß sie älter sei als die „gelöste“
Mainzer Statue. Die Jungfrau repräsentiert die in Deutschland fast allenthalben seit den 40er Jahren beginnende Epoche
des Abstiegs von der Höhe schöner Körperhaftigkeit. Sie setzt das Stadium der Fuststraßenmadonna voraus. Skulpturen,
die der letzteren zeitlich vorangehen, kennen nicht jenes Herausstellen des Körpers, wie es die Jungfrau zeigt.
3 Zuerst beobachtet von W. Noack im »3. Bericht über die Denkmäler deutscher Kunst«, Berlin 1914, S. 46.
Die andere, von Pinder, Mittelalterliche Plastik Würzburgs, Taf. XIII bekanntgemachte Replik der Fuststraßenmadonna,
die inzwischen nach Würzburg zurückgelangt ist, ist übrigens ebenfalls um die Mitte des 13. Jahrhunderts oder wenig
später entstanden.
8 Über den Zusammenhang der Friedberger Jungfrau mit der Madonna der Fuststraße vgl. Panofsky a. a. O.
Ich hatte 1922 das gleiche in einer ausführlichen Expertise über die Jungfrau auseinandergesetzt.
4 Die Figur ist aus Sandstein, 118cm hoch und vollrund bearbeitet. Es fehlen: die rechte Hand der Mutter
und ihre Krone, der linke Arm des Knaben, der vielleicht nach einem Gegenstand in der Rechten der Mutter griff. Der
rechte Fuß der Mutter ist vorn abgebrochen. Hand der Mutter und Arm des Kindes waren vielleicht einmal ergänzt
worden (glatte Schnittfläche an der Handwurzel, Bleidollen im Leib der Mutter und der Schulter des Kindes). Bemalung
im wesentlichen modern. — Die Konsole zeigt eine bärtige Männerbüste von Blattwerk umgeben. Sie ist einige Jahr-
zehnte jünger als die Figur, zu der sie auch in der Form nicht recht paßt.
6 R. Hamann und K. Wilhelm-Kästner, Die Elisabethkirche zu Marburg, Bd. 1. Marburg 1924, S. 282 fr.
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Abb. i) um die Mitte oder ganz bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden ist. Sie trägt
noch jenes dünne und faltenreiche Gewand, durch das der Körper hindurchschimmert, wie es die Bild-
werke des Straßburger Ecclesiameisters oder die Madonna der Fuststraße in Mainz (jetzt im Bischöfl.
Diözesanmuseum im Dom, vgl. Abb. 2 auf Taf. 60) zeigen. Freilich ist die Stoffbehandlung nicht mehr
so flüssig und fein, die Haltung nicht mehr so frei, der Körper nicht mehr so vollendet schön und wohl-
verstanden wie bei diesen ein wenig älteren und an Qualität beträchlich überlegenen Figuren. Die Friedberger
Jungfrau steht befangen, Haltung und Gebärden haben etwas Steifes, die Gewandstruktur ist dichter, die
Drapierung strenger geworden1, und im Mantel macht sich schon der Übergang zu den breit fallenden,
den Körper stärker verhüllenden Falten der Folgezeit bemerkbar. So vertritt unsere Statue das letzte
Stadium des eigentlich frühgotischen Gewandstils und tritt damit in eine gewisse Parallelstellung zu den
Südportalskulpturen des Wetzlarer Domes, unter denen sich übrigens eine zwar sehr schwache, aber doch
unverkennbare Nachahmung der obenerwähnten Mainzer Fuststraßenmadonna befindet2. Mainz mag das
künstlerische Zentrum sein, aus dem der Friedberger Meister hervorging, wie auch in späterer Zeit mehr-
fach Zusammenhänge zwischen der Mainzer und der Friedberger Kunst zu beobachten sind3.
Nicht unerheblich jünger als die Friedberger Jungfrau und von ganz anderem Stil ist jene Statue
der Muttergottes, die am Lettner der Stadtkirche steht (Taf. 60, Abb. 3U.4)4. Wo sie ursprünglich stand,
wissen wir nicht; schwerlich am Lettner, der in diesen Teilen einer wesentlich späteren Zeit angehört
und an dem die Figur in befremdender Asymmetrie aufgestellt ist. Früher mag sie einen der Würde der
Gottesmutter und Kirchenpatronin besser entsprechenden Platz innegehabt haben, doch läßt sich Genaueres
nicht festseilen. Aus der Kirche stammt sie aber wohl gewiß, und es liegt sogar nahe, anzunehmen, daß
sie in Zusammenhang mit der Errichtung des jetzt stehenden Baues entstand, dessen Querschiff nach der
neuesten Forschung bereits im 3. Viertel des 13. Jahrhunderts begonnen wurde5 6, während der Chor erst der
Jahrhundertwende angehört (Weihe 1306).
Von der Friedberger Jungfrau unterscheidet sich die Lettnermadonna auf den ersten Blick durch
ihre starke Bewegtheit: Der rechte Fuß ist weit zurückgesetzt und scheint eben in einer temperament-
1 Das Verhältnis der Friedberger Jungfrau zur Fuststraßenmadonna entspricht ungefähr dem der Straßburger
Margarete zur Ecclesia, vgl. O. Schmitt, Gotische Skulpturen des Straßburger Münsters 1924, Taf. 4 und 35. — Aus der
„altertümlich“ gebundenen Haltung der Jungfrau darf nicht etwa geschlossen werden, daß sie älter sei als die „gelöste“
Mainzer Statue. Die Jungfrau repräsentiert die in Deutschland fast allenthalben seit den 40er Jahren beginnende Epoche
des Abstiegs von der Höhe schöner Körperhaftigkeit. Sie setzt das Stadium der Fuststraßenmadonna voraus. Skulpturen,
die der letzteren zeitlich vorangehen, kennen nicht jenes Herausstellen des Körpers, wie es die Jungfrau zeigt.
3 Zuerst beobachtet von W. Noack im »3. Bericht über die Denkmäler deutscher Kunst«, Berlin 1914, S. 46.
Die andere, von Pinder, Mittelalterliche Plastik Würzburgs, Taf. XIII bekanntgemachte Replik der Fuststraßenmadonna,
die inzwischen nach Würzburg zurückgelangt ist, ist übrigens ebenfalls um die Mitte des 13. Jahrhunderts oder wenig
später entstanden.
8 Über den Zusammenhang der Friedberger Jungfrau mit der Madonna der Fuststraße vgl. Panofsky a. a. O.
Ich hatte 1922 das gleiche in einer ausführlichen Expertise über die Jungfrau auseinandergesetzt.
4 Die Figur ist aus Sandstein, 118cm hoch und vollrund bearbeitet. Es fehlen: die rechte Hand der Mutter
und ihre Krone, der linke Arm des Knaben, der vielleicht nach einem Gegenstand in der Rechten der Mutter griff. Der
rechte Fuß der Mutter ist vorn abgebrochen. Hand der Mutter und Arm des Kindes waren vielleicht einmal ergänzt
worden (glatte Schnittfläche an der Handwurzel, Bleidollen im Leib der Mutter und der Schulter des Kindes). Bemalung
im wesentlichen modern. — Die Konsole zeigt eine bärtige Männerbüste von Blattwerk umgeben. Sie ist einige Jahr-
zehnte jünger als die Figur, zu der sie auch in der Form nicht recht paßt.
6 R. Hamann und K. Wilhelm-Kästner, Die Elisabethkirche zu Marburg, Bd. 1. Marburg 1924, S. 282 fr.
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