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Oberrheinische Kunst — 3.1928

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Kautzsch, Rudolf: Ein frühes Werk des Meisters der Straßburger Ekklesia
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Polaczek, Ernst: Zum Problem des Straßburger Gerichtspfeilers
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https://doi.org/10.11588/diglit.53860#0158

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Ernst Po laczek

oder dem Brunnschen Stich gegenüber die so viel intensivere Belebung der Gewändestatuen. Wie sie
sich hin- und her-, einander zu- und abwenden, schreiten, gestikulieren! Das läßt die Gewände von
Chartres weit hinter sich. Ebenso steht es mit der energischen Modellierung der Köpfe: wie die Augen
tiefer gebettet werden, die Backenknochen hervortreten, die Wangen sich einziehen! Die plastischere Be-
handlung des Haares ist nur ein Symptom der Weiterentwicklung seines gesamten Formgefühls1.
Vom Psychischen und Nationalen war bei alledem noch gar nicht die Rede. Zuletzt haben Schmitt
und Jantzen das Leidenschaftliche in der Kunst des Straßburgers mit guten Worten betont und diese
Leidenschaftlichkeit als deutsch anerkannt. Ich finde nicht, daß die drei Köpfe in Besancon Veranlassung
geben, dieses Urteil irgendwie einzuschränken.
Als die Portalvorhallen in Chartres ihrer Vollendung entgegengingen, also um oder gegen 1225,
mag unser Meister Chartres verlassen haben und nach Besancon gekommen sein. Hier betrieb man eben
den Neubau der Kirche Ste. Madeleine. Sei es, daß man ihn gerufen hatte, sei es, daß er aus eigener
Initiative kam : er fand sofort Arbeit. Sie mag ihn sechs, acht, vielleicht zehn Jahre festgehalten haben.
Schwerlich kam er lange vor 1235 nach Straßburg. Das Straßburger Programm ist nicht ganz durch-
sichtig. War etwa geplant, auch der schon vorhandenen älteren Anbetung im Bogenfeld des nördlichen
Querhausportals nachträglich in den Gewänden eine Reihe großer Figuren, nämlich Ahnen und Propheten,
zu gesellen? Dann wären auch Kirche und Synagoge ursprünglich für diese Seite gedacht gewesen, und man
hätte sie erst später, als man auf die Umarbeitung des Nordportals endgültig verzichtete, an die Südseite
übernommen. Unter dieser Voraussetzung würde man die Aufstellung der Apostel (die eigentlich zum Welt-
gericht gehören) im Südportal noch besser verstehen. Aber wie immer: in Straßburg entstanden nun die
bekannten Werke, die in allen Zügen eine Weiterentwicklung der Kunst zeigen, die uns in Besancon
lebendig geworden ist.

Zum Problem des Straßburger Gerichtspfeilers
Von Ernst Polaczek
In der neueren Literatur über den »Gerichtspfeiler« im Straßburger Münster überwiegt die Neigung,
die von der älteren deutschen Kunstwissenschaft2 aufgezeigten Zusammenhänge mit der Kathedrale von
Chartres auf ein geringes Maß herabzusetzen, ja, sie sogar ganz zu verneinen. Jantzen meint3: Die Quellen
fließen von mehreren Seiten, und Straßburg bildet ein eigenes Sammelbecken neben den französischen
Zentren. Franz Stoehr vollends bestreitet in seinen so außerordentlich aufschlußreichen Darlegungen
des künstlerischen Gehaltes der Komposition und ihrer einzelnen Bestandteile die Herkunft des Meisters
aus Chartres überhaupt und scheint erst in seinem zweiten Aufsatz zu einer etwas anderen Auffassung
1 Ich verstehe nicht, wie man hat daran denken können, diese große Kunst von Lausanne herzuleiten (Emma
Maria Blaser a. a. O. S. 52 u. S. 81: „enge“, ja „engste Beziehungen“). Es ist doch einfach alles anders! Die Plastik
der Portalhalle an der Kathedrale zu Lausanne ist, wie E. M. Blaser selbst vollkommen richtig sagt, ein eklektisch ge-
wonnenes Provinzwerk. Nicht einmal im Handwerklichen hat unser Meister hier etwas gelernt.
2 Grundlegend Karl Franck-Oberaspach, Der Meister der Ekklesia und Synagoge am Straßburger Münster.
Düsseldorf 1894.
3 Deutsche Bildhauer des 15. Jahrhunderts. Leipzig 1925, S. 66.
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