I. Futteret
geistigung geht ihm ganz ab. Sein Gesicht ist andererseits subjektiver, es zeigt nicht den höfischen
Schematismus, der irgendwie bei den zwei andern begegnet. Fettgepolstert zerfließen die Wangen, statt
straff und leichtschwellend emporzublühen, das Lächeln ist sehr träge, im Keim schon erstickend, statt
geistreich und zierlich den Mund zu umspielen, und müde und schwer sinken die Oberlider über
kleine Augen hernieder, von den flachen, knappbogigen Brauenlinien noch einmal besonders nach
unten gehalten, statt ein wenig gesenkt nur den Blick zu verschleiern, der durch kühne Führung der
weiten Brauen dann gleich wieder eine Note von Keckheit, von Anmut und Grazie und Frische erhält.
— Nachdem wir erkannten, daß die Ähnlichkeit Heinrichs mit Conrad von Lichtenberg nicht etwa nur
eine zeitbedingt allgemeine gewesen, schließen wir aus der Ausdrucksverwandschaft der beiden Köpfe
auf einen Künstler und haben dafür noch weitere Gründe. Zuerst die zerklüftete Kleidung des Priesters,
die an jene des heiligen Oswald erinnert. Die Kasel staut sich in mächtigen Falten, stumpfwinklig
brechend hängen sie nieder, genau wie am Mantel des englischen Herrschers. Die Dalmatika fällt
in kehlrückigen Bahnen wie der Rock vor dem Leib des Briten hernieder, und die Alba biegt unter
dem Fuß des Bischofs ganz ähnlich um, wie das Oberkleid Heinrichs am Schenkel des reitenden Fürsten
es tut. Auch die Freude des Künstlers am kräftigen Körper, die besonders ja bei dem König sich zeigte,
ist hier bei dem Lichtenberg durchzuspüren, dessen wuchtiger Leib trotz der Pontifikaltracht noch fühlbar
unter der Kasel hervortritt und der ebenso stark in der Hüfte sich ausbiegt, obgleich er doch liegt, wie
etwa der Körper des stehenden Königs im Dollingersaal. Auch das Ausmaß der Regensburger Figuren
spricht für eine Beziehung zum Lichtenberggrabmal. Keine der Straßburger Westportalstatuen überschreitet
die Höhe von rund zwei Metern, Die meisten sind vielmehr wesentlich kleiner, 2,54 m dagegen soll
die Länge des ruhenden Bischofs betragen, und Oswald maß mit der alten Krone nach Gratzmeier 2,45 m
(heute 2,20 m). Endlich erscheint uns das Meisterfigürchen vom Grabmal des Bischofs verwandt mit dem
Graco, und die Ähnlichkeit liegt für uns nicht etwa darin, daß beide mit einem Spitzhut bedeckt sind,
sondern in jener so sehr zarten Weise, in der beide Male das Leiden sich äußert, in dem gleichen, reizvollen
Neigen des Kopfes, und in der geduldigen, schmerzlichen Wehmut, die über den stillen Gesichtern ruht.
Wir sind also durch unsere Untersuchungen zu der Überzeugung gekommen, daß der Schöpfer
der Dollingersaalfiguren und der Meister des Straßburger Lichtenberggrabmals ein und derselbe Künstler
ist, und wir gelangten außerdem zu der Vermutung, daß in Straßburg des weiteren die Reiter der Erwin -
fassade von seiner Hand waren, während in Regensburg weitere Werke des Meisters sich nicht finden lassen.
Zur gotischen Plastik im Elsaß
Von I. Futterer
I.
Die nächsten Verwandten des bisher weiter nicht beachteten Reliefs, Taf. 22, sind die Lettner-
skulpturen der Dome zu Chartres, Mainz und Naumburg. In dem namenlosen »Naumburger Meister« —
so genannt, weil sich sein Bildhauergenie dort in einer Reihe großartigster Werke kundgibt, während
Mainz und Chartres nur mehr Spuren seiner Tätigkeit bewahren — in ihm verehrt die deutsche Kunst
einen ihrer Größten schlechthin. In seinem Kreis, möglicherweise als Frühwerk seiner eigenen Hand,
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geistigung geht ihm ganz ab. Sein Gesicht ist andererseits subjektiver, es zeigt nicht den höfischen
Schematismus, der irgendwie bei den zwei andern begegnet. Fettgepolstert zerfließen die Wangen, statt
straff und leichtschwellend emporzublühen, das Lächeln ist sehr träge, im Keim schon erstickend, statt
geistreich und zierlich den Mund zu umspielen, und müde und schwer sinken die Oberlider über
kleine Augen hernieder, von den flachen, knappbogigen Brauenlinien noch einmal besonders nach
unten gehalten, statt ein wenig gesenkt nur den Blick zu verschleiern, der durch kühne Führung der
weiten Brauen dann gleich wieder eine Note von Keckheit, von Anmut und Grazie und Frische erhält.
— Nachdem wir erkannten, daß die Ähnlichkeit Heinrichs mit Conrad von Lichtenberg nicht etwa nur
eine zeitbedingt allgemeine gewesen, schließen wir aus der Ausdrucksverwandschaft der beiden Köpfe
auf einen Künstler und haben dafür noch weitere Gründe. Zuerst die zerklüftete Kleidung des Priesters,
die an jene des heiligen Oswald erinnert. Die Kasel staut sich in mächtigen Falten, stumpfwinklig
brechend hängen sie nieder, genau wie am Mantel des englischen Herrschers. Die Dalmatika fällt
in kehlrückigen Bahnen wie der Rock vor dem Leib des Briten hernieder, und die Alba biegt unter
dem Fuß des Bischofs ganz ähnlich um, wie das Oberkleid Heinrichs am Schenkel des reitenden Fürsten
es tut. Auch die Freude des Künstlers am kräftigen Körper, die besonders ja bei dem König sich zeigte,
ist hier bei dem Lichtenberg durchzuspüren, dessen wuchtiger Leib trotz der Pontifikaltracht noch fühlbar
unter der Kasel hervortritt und der ebenso stark in der Hüfte sich ausbiegt, obgleich er doch liegt, wie
etwa der Körper des stehenden Königs im Dollingersaal. Auch das Ausmaß der Regensburger Figuren
spricht für eine Beziehung zum Lichtenberggrabmal. Keine der Straßburger Westportalstatuen überschreitet
die Höhe von rund zwei Metern, Die meisten sind vielmehr wesentlich kleiner, 2,54 m dagegen soll
die Länge des ruhenden Bischofs betragen, und Oswald maß mit der alten Krone nach Gratzmeier 2,45 m
(heute 2,20 m). Endlich erscheint uns das Meisterfigürchen vom Grabmal des Bischofs verwandt mit dem
Graco, und die Ähnlichkeit liegt für uns nicht etwa darin, daß beide mit einem Spitzhut bedeckt sind,
sondern in jener so sehr zarten Weise, in der beide Male das Leiden sich äußert, in dem gleichen, reizvollen
Neigen des Kopfes, und in der geduldigen, schmerzlichen Wehmut, die über den stillen Gesichtern ruht.
Wir sind also durch unsere Untersuchungen zu der Überzeugung gekommen, daß der Schöpfer
der Dollingersaalfiguren und der Meister des Straßburger Lichtenberggrabmals ein und derselbe Künstler
ist, und wir gelangten außerdem zu der Vermutung, daß in Straßburg des weiteren die Reiter der Erwin -
fassade von seiner Hand waren, während in Regensburg weitere Werke des Meisters sich nicht finden lassen.
Zur gotischen Plastik im Elsaß
Von I. Futterer
I.
Die nächsten Verwandten des bisher weiter nicht beachteten Reliefs, Taf. 22, sind die Lettner-
skulpturen der Dome zu Chartres, Mainz und Naumburg. In dem namenlosen »Naumburger Meister« —
so genannt, weil sich sein Bildhauergenie dort in einer Reihe großartigster Werke kundgibt, während
Mainz und Chartres nur mehr Spuren seiner Tätigkeit bewahren — in ihm verehrt die deutsche Kunst
einen ihrer Größten schlechthin. In seinem Kreis, möglicherweise als Frühwerk seiner eigenen Hand,
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