]. Futterer / Zur gotischen Plastik im Elsaß
unweit Colmar1 und steht nun im Museum Unterlinden. Ihr Meister gefällt sich in einer etwas spröden,
trockenen Zierlichkeit. Zu den glatten, fast kahlen Wölbungen des Oberkörpers setzt er die metallisch
geschnittenen Faltenreihen des Mantels in bewußten Kontrast. Er steht damit in seiner Zeit allein. Wo
er anknüpfte, zeigt die Figur in Frankfurt, Abb. 30, 1. Ihr eignet wärmere Lebensfülle und mehr
Beweglichkeit. Deutlich ist sie im Aufbau noch Simon Leinberger und dem Meister E. S. verpflichtet.
Von dort die vielfache Achsenbrechung des Körpers und das Motiv des überzwerch gerafften Mantelendes.
Dies alles läßt der Marbacher Schnitzer weg zugunsten einer einheitlichen Auskurvung der linken Seite.
Aber das großflächige, etwas abweisende Madonnengesicht, den Typus des Bambino und die Dürrfaltigkeit
der Gewandanlage hat er aus jenem Kreis übernommen und virtuos zu steigern gewußt.
Nicht sehr weit von Marbach, in St. Pilt, südlich Schlettstadt, stand früher die schöne Madonna
der Sammlung Noll, Frankfurt2 *, Taf. 30, 4. Obwohl auch zeitlich in der Nähe der Marbacherin entstanden,
geht sie doch ganz andere Wege. Eingeschrieben in ein geschlossenes Oval entfaltet sich eine großzügig
und klar durchgeformte Draperie; sie verdeckt den Aufbau des Körpers bis in die Brustregion. (Wieder
ist es der am Oberrhein durch die Stiche des E. S. so beliebte, dramatische Mantelumschlag. Vgl. auch
Abb. 30, 1). Entzückend fein das Bewegungsmotiv des Kindes und der leicht geneigte Kopf der Jungfrau!
Ein Blick von dieser Figur zu einer weiteren im Unterlindenmuseum belehrt über die Werkstatts-
verwandtschaft8. Taf. 30,3. Dem Pathetiker der Colmarer Statue geraten alle Formen ausgreifender und
wuchtiger. Jene stille Harmonie des Ganzen fehlt, dafür ist sein Werk effektvoll und auch in den
Seitenansichten kühn und überraschend. Im Kopf wirkt die Konstanz des Typus sehr klar: über dem
kielbogenförmigen Haaransatz wird noch die steil ansteigende Schädeldecke sichtbar. Schläfenwärts bauschen
sich die Lockensträhnen plötzlich auf und fallen, je zwei lose zusammengedreht, über die Schultern —
ganz wie bei der Muttergottes aus St. Pilt.
Mehr in der Gesamthaltung als in irgendeiner greifbaren Einzelheit zeigt sich ein Madonnen-
bildwerk der Pfarrkirche von Kappel auf dem badischen Rheinufer verwandt4 *. Ihr Meister kam wohl vom
Elsaß herüber. Darauf scheint eine Marienfigur in Sindelsberg, Kr. Zabern, zu deuten, die zweifellos ein
Werk seiner Hand ist. (Nicht publiziert.)
Die beabsichtigte Neuzuschreibung einer prächtigen Marienfigur im Straßburger Museum (Kat. Schnee-
gans Nr. 1031) an den Bildschnitzer des Schnewlinaltares im Freiburger Münster, in dem schon Münzel einen
Elsässer vermutete, mag hier füglich weggelassen werden, da dieser Zusammenhang auch von Dr. Sommer
bemerkt wurde und im Rahmen einer Gesamtdarstellung des Schnewlinmeisters in dieser Zeitschrift durch
ihn zur Sprache kommen soll.
Die elsässische Spätgotik des 16. Jahrhunderts ist noch reich an eigenständigen interessanten Künstler-
persönlichkeiten, welche verdienen würden, allmählich von der Forschung ans Licht gezogen zu werden.
1 Höhe 120 cm., Fassung Rokoko, weiß mit goldenen Säumen. Kat.-Nr. 5, 115.
2 Vgl. Forrer 1924, 261 ff. Von dort, mit freundlicher Erlaubnis des Autors, dem auch an dieser Stelle Dank
abgestattet sei, übernommen. — Höhe 139 cm. Linde, alte Fassung.
8 Herkunft der Madonna im ünterlindenmus. unbekannt. Jedoch sicherlich aus der Umgebung. Höhe 110 cm.
Mondsichel abgebrochen. Arme des Kindes ergänzt. Kat. Nr. 114.
4 Die Madonnen in Kappel und aus St. Pilt bildet Schmitt 192, Taf. 47/48 und öga/yoa ab unter Hinweis auf ihre
gewisse Ähnlichkeit.
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unweit Colmar1 und steht nun im Museum Unterlinden. Ihr Meister gefällt sich in einer etwas spröden,
trockenen Zierlichkeit. Zu den glatten, fast kahlen Wölbungen des Oberkörpers setzt er die metallisch
geschnittenen Faltenreihen des Mantels in bewußten Kontrast. Er steht damit in seiner Zeit allein. Wo
er anknüpfte, zeigt die Figur in Frankfurt, Abb. 30, 1. Ihr eignet wärmere Lebensfülle und mehr
Beweglichkeit. Deutlich ist sie im Aufbau noch Simon Leinberger und dem Meister E. S. verpflichtet.
Von dort die vielfache Achsenbrechung des Körpers und das Motiv des überzwerch gerafften Mantelendes.
Dies alles läßt der Marbacher Schnitzer weg zugunsten einer einheitlichen Auskurvung der linken Seite.
Aber das großflächige, etwas abweisende Madonnengesicht, den Typus des Bambino und die Dürrfaltigkeit
der Gewandanlage hat er aus jenem Kreis übernommen und virtuos zu steigern gewußt.
Nicht sehr weit von Marbach, in St. Pilt, südlich Schlettstadt, stand früher die schöne Madonna
der Sammlung Noll, Frankfurt2 *, Taf. 30, 4. Obwohl auch zeitlich in der Nähe der Marbacherin entstanden,
geht sie doch ganz andere Wege. Eingeschrieben in ein geschlossenes Oval entfaltet sich eine großzügig
und klar durchgeformte Draperie; sie verdeckt den Aufbau des Körpers bis in die Brustregion. (Wieder
ist es der am Oberrhein durch die Stiche des E. S. so beliebte, dramatische Mantelumschlag. Vgl. auch
Abb. 30, 1). Entzückend fein das Bewegungsmotiv des Kindes und der leicht geneigte Kopf der Jungfrau!
Ein Blick von dieser Figur zu einer weiteren im Unterlindenmuseum belehrt über die Werkstatts-
verwandtschaft8. Taf. 30,3. Dem Pathetiker der Colmarer Statue geraten alle Formen ausgreifender und
wuchtiger. Jene stille Harmonie des Ganzen fehlt, dafür ist sein Werk effektvoll und auch in den
Seitenansichten kühn und überraschend. Im Kopf wirkt die Konstanz des Typus sehr klar: über dem
kielbogenförmigen Haaransatz wird noch die steil ansteigende Schädeldecke sichtbar. Schläfenwärts bauschen
sich die Lockensträhnen plötzlich auf und fallen, je zwei lose zusammengedreht, über die Schultern —
ganz wie bei der Muttergottes aus St. Pilt.
Mehr in der Gesamthaltung als in irgendeiner greifbaren Einzelheit zeigt sich ein Madonnen-
bildwerk der Pfarrkirche von Kappel auf dem badischen Rheinufer verwandt4 *. Ihr Meister kam wohl vom
Elsaß herüber. Darauf scheint eine Marienfigur in Sindelsberg, Kr. Zabern, zu deuten, die zweifellos ein
Werk seiner Hand ist. (Nicht publiziert.)
Die beabsichtigte Neuzuschreibung einer prächtigen Marienfigur im Straßburger Museum (Kat. Schnee-
gans Nr. 1031) an den Bildschnitzer des Schnewlinaltares im Freiburger Münster, in dem schon Münzel einen
Elsässer vermutete, mag hier füglich weggelassen werden, da dieser Zusammenhang auch von Dr. Sommer
bemerkt wurde und im Rahmen einer Gesamtdarstellung des Schnewlinmeisters in dieser Zeitschrift durch
ihn zur Sprache kommen soll.
Die elsässische Spätgotik des 16. Jahrhunderts ist noch reich an eigenständigen interessanten Künstler-
persönlichkeiten, welche verdienen würden, allmählich von der Forschung ans Licht gezogen zu werden.
1 Höhe 120 cm., Fassung Rokoko, weiß mit goldenen Säumen. Kat.-Nr. 5, 115.
2 Vgl. Forrer 1924, 261 ff. Von dort, mit freundlicher Erlaubnis des Autors, dem auch an dieser Stelle Dank
abgestattet sei, übernommen. — Höhe 139 cm. Linde, alte Fassung.
8 Herkunft der Madonna im ünterlindenmus. unbekannt. Jedoch sicherlich aus der Umgebung. Höhe 110 cm.
Mondsichel abgebrochen. Arme des Kindes ergänzt. Kat. Nr. 114.
4 Die Madonnen in Kappel und aus St. Pilt bildet Schmitt 192, Taf. 47/48 und öga/yoa ab unter Hinweis auf ihre
gewisse Ähnlichkeit.
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