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Oberrheinische Kunst — 3.1928

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Sommer, Clemens: Beiträge zum Werke des Bildschnitzers Hans Wydyz
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https://doi.org/10.11588/diglit.53860#0105

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Beiträge zum Werke des Bildschnitzers Hans Wydyz
Johannes Schnewlin für seine Kapelle im Münsterchor gestiftet wurde1. Leider sind die einzelnen Teile
dieses hervorragenden Werkes, dessen Malereien von der Hand und aus der Werkstatt Hans Baldungs
stammen, auseinander gerissen, Predella und Aufsatz gänzlich verlorengegangen. Das lange verschollene
Mittelstück wurde in verwahrlostem Zustande in der Münsterschatzkammer aufbewahrt, bis es im Jahre 1925
einer Restaurierung unterzogen wurde. Dabei zeigte sich die noch erhaltene Fassung von einer Vorzüglich-
keit, wie sie wohl nur selten vorkommt. Die zarte Tönung des Inkarnates, die sparsame und doch voll-
ständig sichere Zeichnung der Gesichter sowie der Zusammenklang der Malerei bei Bildwerk und Hinter-
grund lassen die Frage zu, ob wir nicht auch in der Fassung des Schnitzwerkes wie am übrigen Altar
die Hand Baldungs zu sehen haben.
Die Jahrzentelange Verborgenheit dieses Stückes und der schlechte Zustand, in dem es sich vor
der Restaurierung befand, mögen dazu beigetragen haben, daß seine Geschlossenheit und anspruchslose
Anmut nicht zur Geltung kamen, sondern daß es mehr oder minder in einem Atem genannt wurde mit
der ganzen Reihe idyllisch-intimisierender Darstellungen des elsässischen Reliefstiles, mit dem es jedoch
nicht mehr gemeinsam hat als die Verarbeitung graphischer Vorbilder2. Dieser elsässische Spätstil ist die
augenfälligste Form einer ganzen Kunstrichtung und zugleich deren oberflächlichste Äußerung. Ihre tiefere
Wirkung liegt weiter zurück. Es ist die neue Befruchtung, die die Plastik in der Spätgotik von der Graphik
erfahren hat, die mit dem Meister E. S. beginnt und in Nikolaus von Leiden ihren furchtbarsten Nieder-
schlag gefunden hat. Schon in der nächsten Generation verschiebt sich das Gewicht immer mehr zu
gunsten der Graphik, die auf ihrem Wege zu malerischer Gestaltung die Plastik, die ihr folgt, ihrem
eigenen Wesen entfremdet. So kommt es, daß in den elsässischen Werkstätten das plastische Gestaltungs-
vermögen verlorengeht, indem graphische Blätter gewohnheitsmäßig als Vorlage verwendet werden.
Während die besseren wie die rein schematischen Arbeiten dieser Art meist eine getreue Abschrift
dieses graphischen Vorbildes sind, haben wir es hier mit einem Werk zu tun, das dies Vorbild sozusagen
innerhalb der plastischen Formensprache neu schafft. Es ist schon früher erkannt worden, daß die Gruppe
auf 2 Kupferstiche von Dürer zurückgeht, und zwar auf die Madonna mit der Meerkatze (B. 42) und die
Madonna mit der Heuschrecke (B. 44)3. Der Aufbau und die Anordnung sind verändert, das Motiv des
Joseph in weit glücklicherer Art gelöst als auf dem Dürerblatt. Auch das Motiv des Kindes ist leicht
variiert. Es greift hinüber zu den verlorenen plastischen Blumenstengeln des Vordergrundes4 und stellt so
eine Verbindung her mit diesem und den völlig gleichartig gemalten des Staketes der Tafel. Die Madonna
selbst ist bis auf die Lage der linken Hand ganz getreu übernommen. Das Gewand läßt sich Zug um
Zug verfolgen. Nur wo Veränderungen motivischer Art nötig werden, wie das Fortlassen der Meerkatze
des Dürerschen Stiches, die einen Teil des Gewandes verdeckte, muß der Meister aus eigener Erfindung
1 Münzel, Die Predella — Über die Malereien des Altares: Therey, Z. f. b. K. 1890, S. 248, und Rep. f.
Kunstw. 17, 1894, S. 446. — Zuletzt: Curjel, Hans Bal düng Grien, München 1923. — Höhe des Schreines 134 cm, der Gruppe
07 cm. Lindenholz.
2 Vgl. Otto Schmitt, a. a. O.: »Der Meister .... von dem sich noch einige weitere Werke nachweisen lassen,
gehört .... zu jener Gruppe von Eklektikern des frühen 16. Jahrhunderts.«
3 Vgl. Kempf und Schuster, Das Freiburger Münster 1906, S. 190. — Ferner: Münzel, Freiburger Münsterblätter 10,
1914, S. 68, Anm. 1. Weiter: Ders., Die Predella ....
4 Dies Motiv ist von Kempf, Heimsuchungen . . . ., S. 22, richtig erkannt worden. Der tatsächliche Befund, der
von Münzel scheinbar übersehen wurde, bestätigt es.

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