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Oberrheinische Kunst — 3.1928

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Baier-Futterer, Ilse: Niklaus Gerhaert in Konstanz und Regensburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.53860#0168

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Ilse Futterer / Niklaus Gerhaert in Konstanz und Regensburg
Unter den weiblichen Köpfen steht das anmutige Mädchengesicht (Taf. 65, Abb. 6) den beiden
Halbfiguren des von Gerhaert signierten Epitaphs im Straßburger Münster nahe. Die kugelige Augen-
bildung und die ganze Art der Kinnmodellierung sind dort — namentlich im Antlitz des Klerikers (Taf. 65,
Abb. 5) — deutlich vorgebildet. Auch das schelmische Lächeln der vom Volksmund „Bärbel von Otten-
heim“ benannten Kanzleibüste klingt in unserem Konstanzischen Kopf noch leise nach (Abb. Schmitt 1924,
Taf. 10).
Die Abbildungen Taf. 65, Abb. 1—4 zeigen noch zwei charakteristische Eigentümlichkeiten des
Leydener Meisters in entsprechend schülermäßiger Überschärfung: Brauenbögen wie haarscharfe Schatten-
striche und Oberlippen nur als schmales Bändchen angedeutet, während die Unterlippe voll und schwellend
gebildet wird. (Vergleiche Schmitt 1924, Taf. 10 —18.)
Als ein zweiter Gerhaert-Nachfolger muß der Urheber der beiden Zwickelfüllungen an den Außen-
seiten des Chordurchlasses im Konstanzer Münster genannt werden. Auch ihm wurde, soviel wir sehen,
bisher keine Beachtung zuteil. Er gibt zwei äußerst temperamentvolle, reich bewegte Gruppen: Die Maria
mit dem Kind in deutlicher Anlehnung an die Komposition des Kleriker-Epitaphs in der Lünette gegen
das südliche Querschiff, eine Anna selbdritt mit rauschend knitterfaltigem Gewand im Türfeld gegen den
nördlichen Querhausarm hin. Bei letzterer ist der Aufbau, im Gegensatz zu der von Demmler 1921, 20
als Gerhaerts Werk erkannten Anna selbdritt des Kaiser-Friedrich-Museums, aus der Grundform der Pyramide
gewonnen. Anna als Halbfigur in der Mitte, linksseitig die ganz bedeutend kleinere Maria, rechts das
heftig auf die Mutter zustrebende Jesuskind, ein Knabe von charaktervoll häßlichen Zügen. (Als nächst-
verwandt, möglicherweise von gleicher Hand, mag die halblebensgroße, virtuos in Buchs geschnitzte Anna
selbdritt unbekannter Herkunft im St. Georgskloster zu Stein am Rhein wenigstens Erwähnung finden.)
Dieser Bildner lehnt sich im ganzen schon an jene Phase des Leydener Meisters an, die wir unlängst
durch CI. Sommer in der Muttergottes zu Thyrnau unweit Passau kennenlernten. Lebhafterer Schwung
und tiefer zerklüftete Gewandmassen kennzeichnen sie.
Sommer 1927, 32 neigt dazu, als ursprünglichen Entstehungsort der Thyrnauer Statue Passau
anzusprechen. Gerhaert nimmt 1469 vom Passauer Bischof eine Zahlung auf seine Arbeit in Empfang. Ob
aber auch die Gerhaertsche Werkstatt in Passau aufgeschlagen war, ob das Grabmal für Kaiser Friedrich III.
hier entstand, muß immer noch offen bleiben.
Nun gibt es in Regensburg einen Petrüskopf aus der Navicella der Domfassade, der so qualitätvoll ist,
daß die Frage nach der eigenhändigen Ausführung durch Gerhaert gestellt werden muß (Taf 65, Abb. 3, 6).
Wird sie mit Ja beantwortet, so gewinnt zugleich die Annahme eines persönlichen Aufenthalts in Passau
an Gewicht, denn von Regensburg führte der Weg nach Wien notwendig über Passau. — Das Haupt-
geschoß der Regensburger Domfassade, in dessen Zentrum sich das Petrusschifflein befindet, wurde nach
Adler und Dehio in den 1480 er Jahren ausgeführt, das wäre für unsere Skulptur zu spät, wenn man die
Stationenfolge Straßburg-Konstanz-Regensburg-Passau-Wien für wahrscheinlich halten möchte. Jedoch besteht
an sich keine Schwierigkeit, den Kopf dennoch zwischen 1467 und 146g entstanden zu denken. Der von den
Roritzern geleitete Westbau des Domes war immerhin eines der größten Unternehmen jener Zeit in Süd-
deutschland, und es konnte dem Meister auf seiner Wanderschaft gen Osten wohl locken, den Bau zu
sehen und seine eigene Meisterschaft in einem Ausstattungsstück der Fassade zu dokumentieren. Ein Petrus-
schifflein durfte an dem Petersdome ja nicht fehlen, es stand gewiß von Anfang an im Programm und

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