M. Dobroklonsky
Was den Inhalt anbetrifft, so stellt das Blatt den Marientod dar. In der rechten Seite der von hoch
emporsteigenden Säulen eingerahmten Komposition sitzt die heilige Jungfrau in ein weites Gewand gekleidet.
Der links stehende Apostel Johannes reicht ihr eine brennende Kerze, während der im Vordergrund kniende
Petrus ein Gebetbuch offen hält. Im Hintergründe bilden die übrigen Apostel zwei symmetrische, eng ge-
drängte Gruppen. Es tritt unmittelbar hinter der rechten Gruppe der Vorsprung eines Gebäudes in streng
einfachen Linien hervor.
Die Zeichnung, die seit der Kobenzlmontierung auf einen Untersatzkarton aufgezogen ist, hat keine
Bezeichnungen außer der Nummer einer unbekannten, ehemaligen Sammlung. Laut einer alten Tradition,
die jedenfalls in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückzuführen ist, wird die Zeichnung dem Nicolaus Manuel
Deutsch zugeschrieben. Doch ist die Irrtümlichkeit dieser Attribution evident. Weder der gesamte Charakter
der Komposition noch die Faktur der Zeichnung erlauben, in ihr eine Arbeit des Berner Meisters zu erkennen;
sie lassen vielmehr auf einen Künstler der älteren Generation schließen. Die Auffassung und Beschreibung der
Formen, auch einige Details, wie die schroff gebrochenen Faltenzüge, berechtigen uns den Namen Hans Holbeins
d. Ä. zu nennen, und es würde sich hier nur darum handeln, ob die Zeichnung als eigenhändige Leistung
des Meisters oder bloß als Werk seiner Schule angesehen werden kann. Allein die hohe Qualität der Zeichnung,
der sichere Federstich und die ebenso meisterhafte Lavierung sprechen zugunsten der ersten Meinung.
Engste Beziehungen mit den Bildern Holbeins geben den Beweis, daß die Zeichnung von dem Meister selber
herrührt.
Das Thema des Marientodes gehört zu denen, die von Holbein am häufigsten behandelt worden
sind, und allein nach erhaltenen Bearbeitungen dieses Gegenstandes wäre es möglich, sich eine Vor-
stellung von den Hauptstadien der künstlerischen Entwicklung des Meisters zu machen. In der Bilder-
reihe dieses Inhalts ist das Werk, welches, aus dem Dominikanerkloster zu Frankfurt a. M. stammend,
jetzt in der öffentlichen Kunstsammlung zu Basel sich befindet, eines der wichtigsten. Und eben mit
dieser Tafel weist die Eremitagezeichnung einen engsten Zusammenhang auf. Sie bietet eine Variante
desselben Kompositionsgedankens dar, wobei ihre Hauptelemente, ebenso wie die charaktervollsten Haltun-
gen und Bewegungsmotive in beiden Fällen gleich sind. Auch wiederholen sich einige Details, doch sind
die meisten einer Bearbeitung unterzogen. Gleichfalls hat der gesamte Aufbau der Gruppe eine bedeut-
same Veränderung erhalten. Es befindet sich nämlich die Gestalt Mariens auf dem Bilde in der Mitte der
Komposition, während Johannes demgemäß zu ihrer Linken steht und dabei dieselbe Haltung und die-
selben Attribute bewahrt. In bezug ihrer Farbenbehandlung bieten die beiden Werke einen wichtigen
Unterschied dar. Der erste Eindruck des Bildes wird durch die Kontrastierung der roten und grünen Töne
bestimmt. Auf der Zeichnung aber fehlt das Rot gänzlich; die dominierende Farbe ist ein kräftiges Blau,
dem Grüngelb und Braun entgegen gestellt sind, die letzteren aber durch verschiedene Abstufungen von lila
und grauen Tönen ergänzt.
Von allen Teilen der Komposition sind es in beiden Fällen die Figuren des Petrus, die die größte
Ähnlichkeit miteinander darbieten. Nicht nur die bedeutendsten Faltenzüge, sondern auch geringere Linien
seines festonartig herabfallenden Gewandes und die der Stola wiederholen sich auf Bild und Zeichnung mit
nur ganz unwesentlichen Abweichungen. Eine etwas weniger gebückte Körperhaltung im Bilde ändert den
gesamten Charakter dieser Figur nicht. Die Gesten, mit denen das Buch gehalten wird, stimmen überein.
Nur in der Darstellung des Apostelkopfes erblicken wir eine wesentliche Änderung. Der ältere traditionelle
160
Was den Inhalt anbetrifft, so stellt das Blatt den Marientod dar. In der rechten Seite der von hoch
emporsteigenden Säulen eingerahmten Komposition sitzt die heilige Jungfrau in ein weites Gewand gekleidet.
Der links stehende Apostel Johannes reicht ihr eine brennende Kerze, während der im Vordergrund kniende
Petrus ein Gebetbuch offen hält. Im Hintergründe bilden die übrigen Apostel zwei symmetrische, eng ge-
drängte Gruppen. Es tritt unmittelbar hinter der rechten Gruppe der Vorsprung eines Gebäudes in streng
einfachen Linien hervor.
Die Zeichnung, die seit der Kobenzlmontierung auf einen Untersatzkarton aufgezogen ist, hat keine
Bezeichnungen außer der Nummer einer unbekannten, ehemaligen Sammlung. Laut einer alten Tradition,
die jedenfalls in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückzuführen ist, wird die Zeichnung dem Nicolaus Manuel
Deutsch zugeschrieben. Doch ist die Irrtümlichkeit dieser Attribution evident. Weder der gesamte Charakter
der Komposition noch die Faktur der Zeichnung erlauben, in ihr eine Arbeit des Berner Meisters zu erkennen;
sie lassen vielmehr auf einen Künstler der älteren Generation schließen. Die Auffassung und Beschreibung der
Formen, auch einige Details, wie die schroff gebrochenen Faltenzüge, berechtigen uns den Namen Hans Holbeins
d. Ä. zu nennen, und es würde sich hier nur darum handeln, ob die Zeichnung als eigenhändige Leistung
des Meisters oder bloß als Werk seiner Schule angesehen werden kann. Allein die hohe Qualität der Zeichnung,
der sichere Federstich und die ebenso meisterhafte Lavierung sprechen zugunsten der ersten Meinung.
Engste Beziehungen mit den Bildern Holbeins geben den Beweis, daß die Zeichnung von dem Meister selber
herrührt.
Das Thema des Marientodes gehört zu denen, die von Holbein am häufigsten behandelt worden
sind, und allein nach erhaltenen Bearbeitungen dieses Gegenstandes wäre es möglich, sich eine Vor-
stellung von den Hauptstadien der künstlerischen Entwicklung des Meisters zu machen. In der Bilder-
reihe dieses Inhalts ist das Werk, welches, aus dem Dominikanerkloster zu Frankfurt a. M. stammend,
jetzt in der öffentlichen Kunstsammlung zu Basel sich befindet, eines der wichtigsten. Und eben mit
dieser Tafel weist die Eremitagezeichnung einen engsten Zusammenhang auf. Sie bietet eine Variante
desselben Kompositionsgedankens dar, wobei ihre Hauptelemente, ebenso wie die charaktervollsten Haltun-
gen und Bewegungsmotive in beiden Fällen gleich sind. Auch wiederholen sich einige Details, doch sind
die meisten einer Bearbeitung unterzogen. Gleichfalls hat der gesamte Aufbau der Gruppe eine bedeut-
same Veränderung erhalten. Es befindet sich nämlich die Gestalt Mariens auf dem Bilde in der Mitte der
Komposition, während Johannes demgemäß zu ihrer Linken steht und dabei dieselbe Haltung und die-
selben Attribute bewahrt. In bezug ihrer Farbenbehandlung bieten die beiden Werke einen wichtigen
Unterschied dar. Der erste Eindruck des Bildes wird durch die Kontrastierung der roten und grünen Töne
bestimmt. Auf der Zeichnung aber fehlt das Rot gänzlich; die dominierende Farbe ist ein kräftiges Blau,
dem Grüngelb und Braun entgegen gestellt sind, die letzteren aber durch verschiedene Abstufungen von lila
und grauen Tönen ergänzt.
Von allen Teilen der Komposition sind es in beiden Fällen die Figuren des Petrus, die die größte
Ähnlichkeit miteinander darbieten. Nicht nur die bedeutendsten Faltenzüge, sondern auch geringere Linien
seines festonartig herabfallenden Gewandes und die der Stola wiederholen sich auf Bild und Zeichnung mit
nur ganz unwesentlichen Abweichungen. Eine etwas weniger gebückte Körperhaltung im Bilde ändert den
gesamten Charakter dieser Figur nicht. Die Gesten, mit denen das Buch gehalten wird, stimmen überein.
Nur in der Darstellung des Apostelkopfes erblicken wir eine wesentliche Änderung. Der ältere traditionelle
160