M. Dobroklonsky / Zwei unbekannte Zeichnungen Hans Holbeins d. Ä. aus d. Eremitagesamml.
Die Zeichnung ist nicht nur als wichtiges Dokument für den Prozeß der künstlerischen Entwick-
lung Holbeins wertvoll, sondern auch als graphische Arbeit des Meisters. Die Anzahl der erhaltenen
Zeichnungen Holbeins ist ziemlich groß und erreicht laut Dr. Glasers Verzeichnis ca. 250 B’att. Doch eine
dominierende Mehrzahl davon besteht aus Porträten, und nur etwa ein Drittel der Gesamtzahl fällt auf alles
übrige: Ornamente, Kopf- und Handskizzen, Einzelfiguren und endlich ganze Kompositionen, wobei die letzteren
wieder die Minorität bilden. Die Eremitagezeichnung gehört zu den figurenreichsten und kompliziertesten.
Zweimal, wie wir es gesehen, in den Bildern des Künstlers ausgenutzt, hat sie den Charakter eines bildmäßig
sauber durchgeführten Werkes, das vielleicht als eine Vorlage für den Besteller angesehen werden darf. Wie
das auch sein mag, weist die Bestimmtheit der Manier auf eine hervorragende Meisterhand hin. Ein ener-
gischer Federstrich, der in den Falten durch dem Künstler eigentümliche Punkte, kurze gebrochene Linien und
Häkchen ergänzt ist, schreibt sichere Formenkonturen nieder und überläßt dem Pinsel die Ausführung aller
Modellierungsdetails. Die Farbengebung zeichnet sich ihrerseits durch eine außerordentliche Saftigkeit und
dabei eine große Feinheit aus, die dem Blatte einen besonderen koloristischen Reiz verleihen. Die dekorative
Wirkung geht dabei Hand in Hand mit der Ausdrucksfähigkeit der gesamten Komposition, wie auch der Ein-
zelköpfe. Und es sei in dieser Hinsicht bemerkt, daß es dem Künstler gelungen ist, etwas mehr Gefühlswärme
in die Zeichnung zu legen, als es im Basler Bilde der Fall ist, da dort die Inhaltstiefe der Szene eher rein
formellen Bestrebungen geopfert worden ist.
Auch sonst hat die Eremitage mit den Zeichnungen Holbeins d. Ä. Glück gehabt, — in ihrem Besitze
befindet sich nämlich noch ein anderes sehr wertvolles Blatt des Meisters (Inv. Nr. 3891). Letzteres
(Taf. 66, Abb. 1), aus derselben Sammlung des Grafen Kobenzl stammend und einst wahrscheinlich zu
einem Skizzenbuche gehörig, ist in Silberslifttechnik auf weißgrundiertem Papier ausgeführt. Der Haupt-
raum des ziemlich kleinen Blattes (12,5 X 16,5 cm), auf welchem mehrere unabhängige Skizzen vorliegen,
ist durch eine Darstellung zweier einander zugekehrter und fast ins Profil gewandter Jünglingsköpfe ein-
genommen. Die Zeichnung, frei von irgendwelchem späteren Retuschieren, ist ein prachtvolles Beispiel
der Porträtkunst Holbeins. Auch erregt sie großes Interesse in rein ikonographischer Hinsicht. In alten
Katalogen der Eremitagesammlung ist sie als ein Holbein gehörendes Unbekanntenporträt bezeichnet. Wenn
wir indessen die Gesichtszüge der Abgebildeten näher betrachten, so kommt uns unwillkürlich ins Gedächtnis
die bekannte Zeichnung des Berliner Kupferstichkabinetts mit analoger Disposition zweier Köpfe, die die
beiden Söhne des Künstlers darstellt. Eine nähere Zusammenstellung der beiden Blätter’ gestattet uns den
Schluß zu ziehen, daß der rechte Jüngling auf dem Eremitageexemplar tatsächlich der ältere Sohn Holbeins
Ambrosius ist, während der linke seinen berühmteren jüngeren Bruder darstellt. Aber es müssen seit dem
Berliner Porträt einige Jahre vergangen sein; die Knaben sind erwachsen, sind Jünglinge geworden. Doch
die Gesichtszüge bleiben in beiden Werken dieselben. Auch hier zeichnet sich Ambrosius durch eine größere
Magerkeit aus; ebenso lockt sich sein Haar, während es bei Hans fast gerade herabfällt. Auch die Charakteristik
zeigt im Ausdruck selbst vieles gleich. Man kann das Alter des Jüngeren, den Gesichtszügen nach, als
16 Jahre annehmen, und da die 1511 datierte Berliner Zeichnung Hans als einen 14 jährigen abbildet, so
muß unser Doppelporträt etwa ins Jahr 1513 gehören.
Das Blatt zeigt, wie gesagt, außer den erwähnten Köpfen noch zwei Skizzen in derselben Technik. Die
kleine Figur eines bärtigen Zwerges, welche in den Einfällen des Pariser Blattes (Glaser, 99) ihre Analogien
findet, ist ohne große Bedeutung. Dafür bietet die den ganzen unteren Teil der Zeichnung einnehmende
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Die Zeichnung ist nicht nur als wichtiges Dokument für den Prozeß der künstlerischen Entwick-
lung Holbeins wertvoll, sondern auch als graphische Arbeit des Meisters. Die Anzahl der erhaltenen
Zeichnungen Holbeins ist ziemlich groß und erreicht laut Dr. Glasers Verzeichnis ca. 250 B’att. Doch eine
dominierende Mehrzahl davon besteht aus Porträten, und nur etwa ein Drittel der Gesamtzahl fällt auf alles
übrige: Ornamente, Kopf- und Handskizzen, Einzelfiguren und endlich ganze Kompositionen, wobei die letzteren
wieder die Minorität bilden. Die Eremitagezeichnung gehört zu den figurenreichsten und kompliziertesten.
Zweimal, wie wir es gesehen, in den Bildern des Künstlers ausgenutzt, hat sie den Charakter eines bildmäßig
sauber durchgeführten Werkes, das vielleicht als eine Vorlage für den Besteller angesehen werden darf. Wie
das auch sein mag, weist die Bestimmtheit der Manier auf eine hervorragende Meisterhand hin. Ein ener-
gischer Federstrich, der in den Falten durch dem Künstler eigentümliche Punkte, kurze gebrochene Linien und
Häkchen ergänzt ist, schreibt sichere Formenkonturen nieder und überläßt dem Pinsel die Ausführung aller
Modellierungsdetails. Die Farbengebung zeichnet sich ihrerseits durch eine außerordentliche Saftigkeit und
dabei eine große Feinheit aus, die dem Blatte einen besonderen koloristischen Reiz verleihen. Die dekorative
Wirkung geht dabei Hand in Hand mit der Ausdrucksfähigkeit der gesamten Komposition, wie auch der Ein-
zelköpfe. Und es sei in dieser Hinsicht bemerkt, daß es dem Künstler gelungen ist, etwas mehr Gefühlswärme
in die Zeichnung zu legen, als es im Basler Bilde der Fall ist, da dort die Inhaltstiefe der Szene eher rein
formellen Bestrebungen geopfert worden ist.
Auch sonst hat die Eremitage mit den Zeichnungen Holbeins d. Ä. Glück gehabt, — in ihrem Besitze
befindet sich nämlich noch ein anderes sehr wertvolles Blatt des Meisters (Inv. Nr. 3891). Letzteres
(Taf. 66, Abb. 1), aus derselben Sammlung des Grafen Kobenzl stammend und einst wahrscheinlich zu
einem Skizzenbuche gehörig, ist in Silberslifttechnik auf weißgrundiertem Papier ausgeführt. Der Haupt-
raum des ziemlich kleinen Blattes (12,5 X 16,5 cm), auf welchem mehrere unabhängige Skizzen vorliegen,
ist durch eine Darstellung zweier einander zugekehrter und fast ins Profil gewandter Jünglingsköpfe ein-
genommen. Die Zeichnung, frei von irgendwelchem späteren Retuschieren, ist ein prachtvolles Beispiel
der Porträtkunst Holbeins. Auch erregt sie großes Interesse in rein ikonographischer Hinsicht. In alten
Katalogen der Eremitagesammlung ist sie als ein Holbein gehörendes Unbekanntenporträt bezeichnet. Wenn
wir indessen die Gesichtszüge der Abgebildeten näher betrachten, so kommt uns unwillkürlich ins Gedächtnis
die bekannte Zeichnung des Berliner Kupferstichkabinetts mit analoger Disposition zweier Köpfe, die die
beiden Söhne des Künstlers darstellt. Eine nähere Zusammenstellung der beiden Blätter’ gestattet uns den
Schluß zu ziehen, daß der rechte Jüngling auf dem Eremitageexemplar tatsächlich der ältere Sohn Holbeins
Ambrosius ist, während der linke seinen berühmteren jüngeren Bruder darstellt. Aber es müssen seit dem
Berliner Porträt einige Jahre vergangen sein; die Knaben sind erwachsen, sind Jünglinge geworden. Doch
die Gesichtszüge bleiben in beiden Werken dieselben. Auch hier zeichnet sich Ambrosius durch eine größere
Magerkeit aus; ebenso lockt sich sein Haar, während es bei Hans fast gerade herabfällt. Auch die Charakteristik
zeigt im Ausdruck selbst vieles gleich. Man kann das Alter des Jüngeren, den Gesichtszügen nach, als
16 Jahre annehmen, und da die 1511 datierte Berliner Zeichnung Hans als einen 14 jährigen abbildet, so
muß unser Doppelporträt etwa ins Jahr 1513 gehören.
Das Blatt zeigt, wie gesagt, außer den erwähnten Köpfen noch zwei Skizzen in derselben Technik. Die
kleine Figur eines bärtigen Zwerges, welche in den Einfällen des Pariser Blattes (Glaser, 99) ihre Analogien
findet, ist ohne große Bedeutung. Dafür bietet die den ganzen unteren Teil der Zeichnung einnehmende
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