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Oberrheinische Kunst — 3.1928

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v. Schneider, A.: Der "Seneca" des Rubens in der Karlsruher Kunsthalle
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https://doi.org/10.11588/diglit.53860#0181

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Notizen: Der „Seneca" des Rubens in der Karlsruher Kunsthalle

auch beim Karlsruher „Seneca“ die technische Grundlage der Kunst des großen Meisters deutlich: die dünnen
Lasuren der hellgrauen Karnationsschatten und roten Lichtreflexe, das Stehenlassen der warmen braunen
Untermalung in den tiefen Schattenpartien oder das pastose Aufsetzen hellgelber Glanzlichter auf Gesicht und
Haarlocken. Und dennoch: es fehlt die geniale Handschrift Rubens’. Um wieviel schematischer und gröber
wirkt die malerische Behandlung beim Karlsruher „Seneca“ im Vergleich zu dem Münchner Gemälde. Wie
unendlich reich ist z. B. bei diesem die Brustpartie mit seinen Muskelschwellungen und das System der unter
der Haut hervortretenden Adern modelliert. Viel durchsichtiger leuchtet hier die braune Untermalung in den
Schatten auf; ganz natürlich, ohne jeden Schematismus, $ind hier und da die Glanzlichter aufgesetzt. Besonders
aber vermittelt beim Münchner „Seneca“ ein fahler, weißlich-grüner Gesamtton in viel stärkerem Grade
den Eindruck leichenhafter Blässe und des entschwebenden Lebens, als es die trockene, mehr auf gelbbraun
gestellte Karnation des Karlsruher Bildes vermag.
Scheint mir also die Autorschaft Rubens’ an dem Karlsruher „Seneca“ aus Gründen der künstlerischen
Qualität nicht überzeugend und der Zusammenhang zwischen den beiden Gemälden nur in dem gleichen
Gegenstände zu bestehen, so möchte ich auf eine auffällige Übereinstimmung des Karlsruher Gemäldes mit
einer zweifellos eigenhändigen Senecazeichnung Rubens’ im Printroom des British Museums aufmerksam
machen, die meines Wissens bisher in der Rubensliteratur übersehen wurde1. Die Abb. 2 Taf. 73 erübrigt ein
Aufzählen der gemeinsamen Formkomplexe2. Ich hebe nur den bis ins einzelne gleichen Linienzug der
Locken hier und dort hervor.
Die Senecazeichnung des British Museums ist jedenfalls unter Benutzung einer Büste des Philosophen
entstanden, die sich im Besitz des Künstlers befand und die wir auf dem Gemälde der Galerie Pitti zu Florenz
„Justus Lipsius und seine Schüler“ in einer Wandnische aufgestellt finden3. Sie diente als Vorlage zu einer
Radierung van Dycks; dann aber auch als Vorzeichnung zu einem Gemälde gleichen Inhalts, wie aus einem
späteren Zustand derselben Radierung, welche Vorstermann als Stich überarbeitet, mit der Bezeichnung:
P.P. Rubens pinxit, Lucas Vorstermann sculpsit hervorgeht4. Als dieses Gemälde haben wir aber höchstwahr-
scheinlich eben das verschollene, von dem Künstler für seinen Freund Moretus geschaffene Seneca-Bildnis
anzusehen.
Ist nun mit unserer Vermutung auch die eingangs erwähnte These Oldenbourgs von der Identität des
Karlsruher „Seneca“ mit dem einstmals im Besitz von Balthasar Moretus befindlichen Gemälde erwiesen?
Keineswegs. Denn sie hält einer sorgfältigen Nachprüfung ebensowenig stand wie der von ihm behauptete
Zusammenhang des Karlsruher Philosophen mit dem Münchner Gemälde. Mit dem Auftrag von Balthasar
Moretus an seinen Freund verhält es sich nämlich folgendermaßen: Um das Jahr 1616 liefert Rubens an ihn
10 Porträts berühmter Zeitgenossen, antiker Philosophen und Humanisten, wie wir aus den Rechnungsbü-
chern der Plantinschen Druckerei erfahren5 6. Von dieser Serie sind noch 3: Pico de la Mirandola, Alfons, König
von Aragonien und Neapel, und Leo X. im Musde Plantin Moretus zu Antwerpen erhalten0. Das Seneca-
1 Vgl. Arthur M. Hind: Catalogue of Dutch and Flemish Drawings. London 1923. Vol. II, Nr. 54, S. 22. Feder-
und Sepiazeichnung mit schwarzer Kreide. 12,5*9,6 cm. Um 1616.
2 Sie wurde mir von Mr. K. T. Parker in liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt.
3 Vgl. Rubens, Klassiker der Kunst. S. 45.
4 Vgl. Hind, Catalogue usw. S. 22.
6 Rooses, l’oeuvre de Rubens. Anvers 1890 IV, S. 120.
6 Vgl. M. Rooses. Catalogue du Musee Plantin Moretus. Anvers 1922, S. 31.
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