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Galerie Flechtheim [Mitarb.]
Der Querschnitt — 1.1921

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Heft 1
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Megerle, Ulrich: Interregnum
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https://doi.org/10.11588/diglit.62259#0045

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Der Impressionismus brachte einen langersehnten Sieg des
Lichts und schuf die Bedingungen für eine neue, für die neue Ein-
stellung. - Van Gogh entdeckte den Sinn des Wachstums der Linie,
der Baum und Gräser malte, wie sie wuchsen, Gestirne, wie sie
kreisten, Schnee, wie er fiel, Luft, wie sie stand. Cezanne entdeckte
die stabile Farbe, wie sie den Körper zweidimensional beschrieb,
Picasso und Braque das Material, die glänzendes Holz, Papier und
matten Kalk zusammenklebten in Furcht und Bewunderung vor dem
selbständig gewordenen Dinglichen, der Pariser Braque, der Spanier
Picasso, der zärtlich wie Pisanello fühlte.
Auf diesen Karyatiden fußt mit eins diese Erkenntnis, bedeut-
samer im Handwerklichen als Gotik. Blau und Rot sind nicht mehr
vorgeschrieben vom Gesetz als Mantel der Madonna und die Schächer
am Kreuz nicht mehr schismatisch gestellt. Die Verantwortung für
jeden Pinselbreit Farbe wird zu einem Kontrapunkt, der in jedem
Bild eigene und neue Gesetze bildet. Das Material triumphiert und
äfft der Natur nicht mehr nach, sucht nicht eine Treue, Aehnlichkeit,
Stimmung und Täuschung vorzuschieben, die aus Bilderrahmen Aus-
blicke in landschaftliche Horizonte oder Interieurs macht, sondern gibt
dem Farblichen und Linearen seine eigene unersetzbare Schönheit,
die des Kultmotivs und des profanen nicht mehr bedarf.
Van Gogh. Cezanne, Picasso, Braque, Matisse und Munch
stehen - Monumente. Aber deren Erkenntnisse gelangen nicht mit
der Zeit, sondern gegen die Zeit, eine kleine Zeitlichkeit, in der nur
Wenige hellsichtig waren. Nie, wie immer nie die Masse. Doch der
stets bereite Troß der Gelegenheitsmacher hat bei einem deroutierten
Publikum leichte Gelegenheit. Und mit witzigen Eigenbrödeleien
und Manieren erobern und behaupten Hunderte einen beklatschten
Platz vor einem Parterre von Dummköpfen. Nie hat eine grausamere
Gerechtigkeit eine Welt von Emporkömmlingen schlimmer genarrt als
dieser Heloten-Aufstand in der Kunst, dieser Aufruhr der Sklaven,
die das Schöne aus der eigenen Bresthaftigkeit hassend, ihre Häßlich-
keiEausschreien: was [die Expressionismus nennen, ist die Idolatrie
der,Häßlichkeit.
Picasso sagte einmal: „La nature existe, mais ma toile existe
aussi.“ Es enthält die neue Erkenntnis. Religion, Gesellschaft und
Ressentiment haben abgewirtschaftet. - Aber was auf Riesenflächen
Farben klext und Fratzen schmiert, faul und talentlos eine billige
Attitüde annimmt und dem stupiden Publikum gefällig erscheint, hat
diesen Ruhm, einer ganzen lächerlichen und bombastischen Epoche
treuer Spiegel zu sein, potemkinsche Kulisse vor vertierter Mentalität.
Namen?? - Keinen!! - Keinen Kommentar, kein Augen-
zwinkern für gelehrige Käufer, die ihr schlechtes Papiergeld gern um
aussichtsreiche Leinwand tauschten - sondern Zusammenbruch -
Inferno - Krach und Pleite einer so heillos lächerlichen Sozietät! -
Weihnachten 1920, Naumburg an der Saale.
Dr. Ulrich Megerle.

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